13. Juli 2024 Magyar Hírlap von IRÉN RAB
In der ersten Jahreshälfte 2011 hatte Ungarn seine erste EU-Ratspräsidentschaft inne. Das Troika-System war bereits vorhanden, die Vorbereitung des gemeinsamen spanisch-belgisch-ungarischen Programms begann 2007, wurde während der linksliberalen Regierungen Gyurcsány-Bajnai genehmigt, und es gab damit natürlich keine Probleme. Dann, im Frühjahr 2010, errang Fidesz einen erdrutschartigen Sieg über die linken Parteien. Man konnte die Schuld nicht dem Wahlsystem geben, denn es wurde immer noch auf die altmodische Art gewählt. Meinungsumfragen zeigten, dass die Wahlergebnisse einem Land, das am Rande des Bankrotts stand, neue Hoffnung gegeben hatten. „Friede, Freiheit und Eintracht sollen herrschen!“ – so verkündete Fidesz sein Programm nach dem Slogan der jungen Revolutionäre von 1848, und alle Ungarn, die ihr Land lieben, wurden eingeladen, sich dem System der Nationalen Zusammenarbeit anzuschließen.
Die Opposition jedoch, die in der „Wahlkabinen- Revolution“ besiegt wurde, akzeptierte dieses Friedensangebot nicht. Es wurde schnell klar, dass diese spezielle Revolution in den Wahlkabinen auch im Westen nicht beliebt war. Man mochte die Selbständigkeit, die Ausrichtung auf das nationale Interesse, den Wunsch nach Unabhängigkeit überhaupt nicht. Die Bestürzung war groß, als die von der Vorgängerregierung ausgehandelten Kredite nicht abgerufen wurden und die Regierung der IWF-EU-Delegation die Tür wies. Stattdessen wurden Bankensteuern und Sonderabgaben eingeführt, von denen wiederum vor allem große ausländische Unternehmen betroffen waren. Multinationale Unternehmen beklagten sich darüber, dass sie weniger Gewinne aus dem Land mitnehmen konnten und fühlten sich ungerechtfertigt diskriminiert. Es stellte sich jedoch dabei auch heraus, dass der Bankensektor, die Telekommunikation, der Energiesektor und sogar die Supermarktketten inzwischen allesamt in ausländischem Besitz waren, was bedeutete, dass sie die sicheren Gewinne ins Ausland abschöpften.
Diese Unternehmen haben Ungarn bei der Europäischen Kommission angezeigt, weil es gegen die EU-Vorschriften verstoßen haben sollte, und die Zuständigen aufgefordert, die abtrünnigen Ungarn zu bestrafen. Neben Sanktionen hätte die Bestrafung zum Beispiel auch den Entzug der rotierenden Präsidentschaft umfassen können, die der demütigende Teil des Paktes war.
Nichts neues unter der Sonne, oder?
Das ungarische Programm „Starkes Europa“ wurde am 10. Januar 2011 veröffentlicht. Neben der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der EU, der weiteren Stärkung der Gemeinschaftspolitiken und der Bewahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt schlug der ungarische Ratsvorsitz die Entwicklung eines europäischen Flüchtlingsstatus vor. Wo war denn damals noch die Europa seit 2015 plagende Flüchtlingskrise? Am besten hat mir die ungarische Roma-Strategie gefallen.
Europa hatte schon damals mit einem Arbeitskräftemangel zu kämpfen und um das Problem zu lösen, boten wir statt der Einwanderung die mehrere Millionen zählende europäische Roma-Bevölkerung an.
Sie leben hier, sie sind Christen, sie sprechen die Sprache, und mit der richtigen Ausbildung können sie gut in den Arbeitsmarkt integriert werden. Aber die großen Pläne für die Zuwanderung müssen schon in der Schublade in Brüssel gelegen haben, denn die ungarische Roma-Strategie ist im Bach untergegangen.
Ich lebte damals in Deutschland, und wir sahen dem ungarischen Ratsvorsitz mit ungarischem Stolz entgegen. Jetzt wird Europa sehen, wie alt, schön und reich Ungarn ist! Der Königspalast von Gödöllő erwartete die internationalen Delegationen in seiner königlichen Pracht, und auch die anderen Tagungsorte waren beeindruckend. Aber Europa war an all dem nicht sonderlich interessiert, die Delegierten waren mit dem ungarischen Zeitgeschehen beschäftigt, das ihnen von ihren anti-national eingestellten oppositionellen Agenten geliefert wurde.
Da war zum Beispiel das Mediengesetz. Dieses komplizierte, mit anderen Rechten verbundene Gesetz war noch nicht einmal verkündet oder übersetzt worden, aber die Titelseiten westlicher Zeitungen waren bereits voll mit Berichten darüber, wie Ungarn die Medienfreiheit einschränken soll. Tatsächlich waren es die Interessen der westlichen, vor allem deutschen Medienkonzerne, die geschädigt werden sollten und nicht die Pressefreiheit, aber das wurde bei den Protesten nicht erkennbar.
Als Viktor Orbán im Europäischen Parlament eintraf, um das Programm des ungarischen Ratsvorsitzes vorzustellen, wurde er von einer kleinen bolschewistischen Minderheit auf der oberen Tribüne des Plenarsaals mit einem merkwürdigen Auftritt begrüßt. Es müssen etwa vierzig von ihnen gewesen sein, die mit zugeklebten Mündern dastanden und hastig gefaltete Blätter Schlagzeilen aus ungarischen Zeitungen in den Händen hielten. Diese Blätter waren mit roten „Zensur“-Zeichen durchgestrichen, um gegen das neu erlassene Gesetz zu protestieren. Anführer dieses Chors war der rote Danny ’68, Daniel Cohn-Bendit, der die Grünen in Straßburg viele Wahlperioden lang vertrat, mal in deutschen, mal in französischen Farben.
Diese laute Minderheit unterbrach die Rede des ungarischen Ministerpräsidenten und seiner Unterstützer mit Pfiffen und Buhrufen. Das ungarische Programm interessierte die fortschrittlichen Abgeordneten von der linken oder sonstigen Seite auch schon 2011 nicht, sondern nur die „Verletzung der europäischen Werte“,
die damals für sie durch die jüngste ungarische Medienverordnung verkörpert wurde.
Sie kritisierten Viktor Orbán dafür vor seiner Rede und während der Debatte, trotz der vergeblichen Aufforderung des ungarischen Premierministers, ihre Aktionen wegen der ungarischen Innenpolitik nicht mit Angelegenheiten im Zusammenhang mit der EU-Präsidentschaft zu verwechseln. Natürlich lasen die interessengeleiteten Abgeordneten die Slogans, die ihnen in die Hand gedrückt wurden, mit Überzeugung und persönlichen Bemerkungen vor.
Die Farbe auf der englischen Übersetzung des Gesetzes war noch nicht ganz trocken, aber der LIBE-Ausschuss hatte bereits an einer außerordentlichen Sitzung seine Besorgnis über die ungarische Medienregulierung zum Ausdruck gebracht, und Kommissionspräsident Barroso tauchte in Budapest auf, um über die Aufhebung des Gesetzes zu verhandeln. Auf dem Spiel soll dabei die Zukunft eines „starken Europas“ gestanden haben, eines Europas, das durch wirtschaftliche, finanzielle und strukturelle Probleme belastet war.
2011 war Orbán über die Unwissenheit und die sachlichen Wissenslücken seriöser, angesehener EP-Abgeordneter über das ungarische Mediengesetz (oder, ich sollte eher sagen, über alles) noch erstaunt. „Sie sind in die Irre geführt worden!“ – sagte er. Was mir damals am besten gefiel, war seine persönliche Antwort an den liberalen Grafen Lambsdorff. „Lieber Herr Lambsdorff“, sagte Viktor Orbán,
„ich spreche zu Ihnen wie ein Europäer zu einem Europäer, wie ein Ungar zu einem Deutschen spricht. Ihr Mediengesetz ist kein Jota demokratischer als das neue ungarische Mediengesetz, und wenn Sie das anzweifeln, dann tun Sie das bitte in einer sachlichen Debatte. Und ich werde weder von den Deutschen noch von irgendjemandem akzeptieren, dass, jemand deswegen, weil wir vierzig Jahre lang unter einer Diktatur gelebt haben, jetzt das demokratische Engagement des ungarischen Volkes in Frage stellt.“
In einer abendlichen Sendung des deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehens wurde Orbáns Rede manipulativ stark zusammengeschnitten, d.h. das Gesagte wurde verfälscht. Das Ergebnis überrascht uns heute nicht mehr, denn daran haben wir uns in den letzten anderthalb Jahrzehnten gewöhnt. Aber damals waren wir dermaßen empört, dass wir die ARD bei ihrer eigenen Medienbehörde angezeigt haben. Denn in Deutschland steht das öffentlich-rechtliche Fernsehen unter Selbstkontrolle, es entscheidet selbst, ob es gegen die Regeln der Unparteilichkeit verstoßen hat. Der Intendant reagierte höflich auf unsere Beschwerde und sagte, dass die angesehene Redakteurin einen Fehler gemacht habe, dass sie aber so viele Sendungen im Monat bewältigen müsse, dass sie nicht auf jede Kleinigkeit achten könne. Sie wurde ein wenig getadelt, aber es wurde ihr verziehen, denn was anderes als gute Absichten hätten sie natürlich nicht zu diesem Fehler verleiten können. Sie bat uns, ihr auch zu verzeihen. Es gab keine Möglichkeit, Einspruch zu erheben, denn die Freiheit der Medien ist heilig und unantastbar, und deshalb wird sie von niemandem in der gesetzestreuen Welt verletzt, und die Unparteilichkeit der öffentlich-rechtlichen Medien, die mit Steuergeldern unterhalten werden, steht natürlich außer Frage.
Seit 2011 ist viel Wasser die Donau und den Rhein hinuntergeflossen. Damals war Europa nur von der Weltwirtschaftskrise, heute ist es von der Migration und der selbst herbeigeführten Sanktionskrise betroffen. Die EU-Entscheidungsträger können die importierten Kriegsscheuklappen nicht ablegen. Sie kennen das Wort Frieden nicht mehr, und unter europäischem Interesse verstehen sie auch etwas anderes. Regierungen und Politiker wechseln.
Eines bleibt aber unverändert: die Warnungen, Strafen und Sanktionen gegen Ungarn, um den Geist der nationalen Interessenvertretung, welche Viktor Orbáns Ungarn verkörpert, im Keim zu ersticken.
Dies sind die Zeiten, in denen wir leben. Ein Gespenst ging um in Europa – das Gespenst des Globalismus.
Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20240709-emlekezes-egy-unios-elnoksegre