Gemeinsamer Protest für ungarische Bildung
22. Oktober 2022 Kárpátalja.ma von ILDIKÓ OROSZ
Die Rede von Ildikó Orosz, Präsidentin der II. Ferenc-Rákóczi-Ungarischen-Hochschule-Beregszász/Beregovo/ Bergsaß (Transkarpatien, Ukraine) bei den zentralen Feierlichkeiten am Haus-des-Terrors-Museums, 2018
Sehr verehrter Herr Ministerpräsident, geehrte kirchliche und weltliche Würdenträger, geehrtes feierndes Publikum!
Ergriffen stehe ich hier wie ein Erstklässler, der das erste Mal die Schwelle der Schule überschreitet. Ich, die im Jahr 1956 noch nicht einmal geboren wurde, ich, die ich bei Weitem für diese Nation nicht so viel getan habe wie die Generation der 1956-er, es steht mir eigentlich nicht zu, hier eine Rede zu halten. Die jungen Leute vor 62 Jahren hatten Mut, der stärksten Macht der Welt die Stirn zu bieten, damit die nachfolgenden ungarischen Generationen die Chance auf ein menschenwürdiges, freies Leben bekommen. Sie taten das, weil sie spürten, dass der Kommunismus lebensfremd wäre und zu nichts führen würde. Sie handelten nicht nur für sich, sondern auch für die Zukunft der ungarischen Nation: für Sie und für uns alle. Es ist ihnen zu verdanken, dass ich heute hier sein kann, weil sie die kommunistische Welt in Europa niederzureißen begannen.
Erblicken Sie in meiner Person die Ungarn aus Transkarpatien, die 56-er aus Transkarpatien und hören Sie die Botschaft von derjenigen ungarischen Gemeinschaft, die bis zur sowjetischen Besatzung im Jahr 1944 so nicht gab.
Transkarpatien gehörte nach Trianon als Teil von Oberungarn zu der Tschechoslowakei. Infolge eines sowjetisch-tschechoslowakischen Paktes erwachten die dort Lebenden plötzlich in der Sowjetunion.
Ihr Leben im neuen Land begann damit, dass man die Männer für eine „malenkij robot” (=kleine Arbeit) in die sibirischen Lager verschleppte, dann kamen die Intellektuellen, die evangelisch-reformierten, römisch-katholischen und griechisch-katholischen Priester, die als Kulaken bezeichneten Bauer, die für ihr Recht einstehenden Frauen an die Reihe. In Munkács (Munkatsch/Mukatschevo) erklärte ein in aller Eile zusammengetrommelter Volksrat in einem Dekret, dass die Ungarn und die Deutschen die ewigen Feinde des ukrainischen Volkes wären. Deshalb hatte man die Söhne dieses Feindes, also die ungarischen jungen Männer jahrelang nicht als Soldaten eingezogen, sondern sie unter lagerähnlichen Verhältnissen in die Kohlengruben des Donbass für drei Jahre abkommandiert. Wer nicht ging oder nach Hause abgehauen war, den verurteilte man.
Dass wir erhalten geblieben sind, verdanken wir der göttlichen Vorsehung, weil die ungarische Frage nach einem Stalin zugeschriebenen Ausspruch nur eine Frage der Einwagonierung war.
Im Jahr 1956 hatte also jeder Ungar in Transkarpatien einschlägige Erfahrungen mit dem sowjetischen System, mit seiner Funktionsweise, aber ihre Herzen schlugen dann zugleich und gemeinsam mit der Nation, und alle verfolgten bangend die Ereignisse. Sie taten das, was sie tun konnten, jeder auf seiner Weise: es gab Leute, die versuchten über die Grenze zu gelangen, damit sie sich dem Aufstand anschließen, es gab Gruppen, die Flugblätter verteilten, mit Wandschriften die Bevölkerung informierten, sowie damit die sowjetischen Truppen aufforderten, Ungarn zu verlassen. Besorgt beobachteten sie und versuchten Ende Oktober Nachricht zu schicken, dass immer mehr sowjetische Panzer durch ihre Dörfer fahren würden.
Aber wo waren die Vorfahren von denjenigen, die heute Ungarn mit der Bezeichnung „Russenfreund” versehen? Ein großer Teil dieser Leute bejahte gerade die Invasion und war mit der „Schaffung der Ordnung” durch die sowjetischen Truppen einverstanden.
Als Ungarn die sowjetischen Truppen verabschieden konnte, dachten wir in Transkarpatien naiverweise, dass nun eine neue Welt kommen werde. Wir mussten aber bald erkennen, dass man nur die Symptome der über Europa ausbreitenden Krankheit behandelte, die Erkrankung jedoch tief in seinem Organismus erhalten blieb.
Die Methoden der Machtausübung nach kommunistisch-faschistischer Art des 20. Jahrhunderts geistern auch heute noch herum, besonders in der Ukraine. Uns, die Ungarn in Transkarpatien, will man als Sündenböcke hinstellen, wir gerieten ins Fadenkreuz und werden für die bankrottnahe wirtschaftliche und politische Lage dieses Landes verantwortlich gemacht.
In den letzten Jahren wurde die öffentliche Meinung über die Ungarn in Transkarpatien mit herabwürdigenden Sendungen der Fernsehkanäle systematisch irregeführt. Sie beschädigen unsere historischen Gedächtnisstätten, unsere Gedenktafeln, und verfälschen unsere Geschichte. Auf einer wissenschaftlichen Konferenz qualifiziert uns eine Professorin als debil und vergleicht uns mit Hunden. Das Vereinshaus des Kulturverbandes der Ungarn in Transkarpatien (KMKSZ) wird in die Luft gesprengt. Ihre Gesichter verhüllende Jugendlichen organisieren Fakelumzüge in den Städten und skandieren: „Die Ungarn ans Messer!”
Die Geschehnisse erinnern an Demonstrationen gegen die Juden vor 100-150 Jahren.
Vor kurzem wurden die persönlichen Daten der Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft auf den als „Todeslisten” geltenden Webseiten veröffentlicht. Auf der Webseite des Parlaments wird eine Unterschriftensammlung ausgeschrieben, wodurch unsere Zwangsumsiedlung auf die Tagesordnung gesetzt werden soll. Außer Ungarn hat niemand auf dieser Welt gegen diese Machenschaften protestiert oder dagegen demonstriert.
Die Welt und deren Sprachrohre, die sonst so lauten, die Interessen schützenden zivilen Organisationen, die Minderheiten und das pesönliche und individuelle Recht verteidigenden Heroen scheinen was hier geschieht gar nicht zu hören, zu sehen, ihre Reizschwelle wird nicht erreicht.
Hätte sich die Welt in dieser Weise benommen, wenn so etwas in einem anderen Land geschähe, wo zur Einschüchterung anderer Minderheiten solche Ereignisse ständig vorkämen, wenn so etwas in Ungarn passieren würde? Ganz sicher nicht!
Allein Ungarn steht uns bei. Ungarn, wir danken dafür!
Die gegen uns gerichteten Provokationen vervielfachten sich. Die ukrainische Gesetzgebung verabschiedete ein Bildungsgesetz, das dem ukrainischen Grundgesetz, den früher verabschiedeten Gesetzen, den internationalen und beiderseitigen, ratifizierten Verträgen, so dem im Jahre 1992 geschlossenen, die ukrainisch-ungarische Zusammenarbeit regelnden Vertag widerspricht. In diesem Vertrag anerkennt Ungarn die Grenzen der Ukraine, die Ukraine aber garantiert die Sicherung und Erweiterung der Rechte der auf seinem Territorium lebenden ungarischen Minderheit. Mit dem neuen Schulunterrichtsgesetz wird dieser Vertrag gebrochen: unsere Rechte werden wesentlich eingeengt, deshalb könnten wir diesen Schritt auch so interpretieren, dass man politisch den Vertrag der beiden Länder aufgekündigt hat.
Die Einschränkung der Minderheitenrechte wird noch dadurch verstärkt, dass das in erster Lesung verabschiedete Sprachgesetz quasi ein Sprechverbot für jeden nicht-ukrainischen Muttersprachler bedeutet.
Die neuste Beschuldigung gegen uns ist der Vorwurf des Separatismus. In diesem Zusammenhang maltretieren sie stundenlang Menschen an der Grenze, sie nehmen ihre Kraftfahrzeuge mehrmals auseinander, führen Leibesvisitationen durch. Sie unternehmen alles, damit wir wegziehen, unsere Heimat verlassen.
Doch wir bleiben, weil wir hier zu Hause sind und wir dort leben, arbeiten und gedeihen wollen, wo unsere Ahnen ruhen.
Von hier aus will ich jedem, der das nicht verstehen will, die Botschaft senden: wir sind seit Urzeiten auf diesem Gebiet beheimatet, wie die Indianer in Amerika, und fordern für uns den internationalen Normen entsprechenden Schutz.
Ich würde mich freuen, wenn der ukrainische Staat mit geeigneten Maßnahmen für uns und für unsere Region sorgen würde und wir nicht auf die Unterstützung des ungarischen Staates angewiesen wären. Als steuerzahlende ukrainische Staatsbürger bekommen wir kaum etwas zur Unterhaltung unserer Kultur, oft sogar nicht einmal das, worauf wir Anspruch hätten, andererseits betrachtet man jegliche, unseren Verbleib in der Heimat unterstützende Zuwendung, wenn sie aus Ungarn kommt, als ein Zeichen des Separatismus.
Doch diese Zuwendungen machen das Land reicher. Jede Kopejke wird offiziell versteuert und der Staat bekommt eine mehrfache Rückvergütung, was der ukrainische Bevölkerung auch zugute kommt, es ist genug, wenn wir an die in Ungarn erfolgte Krankenversorgung der von der Front heimkehrenden Soldaten, oder an die Feieraufenthalte unserer Kinder in Ungarn denken. Bei Ermangelung der Unterstützung wäre Transkarpatien schon längst pleite. Der größte Steuerzahler in der Stadt Beregszász (Beregowe) ist die ungarische Rákóczi-Hochschule, die nur durch den ungarischen Staat unterstützt wird, von dem ukrainischen Staat bekommen wir keinen Cent, aber dafür regelmäßige Kontrollen und oftmalige Überprüfungen.
Wir bedanken uns, dass Sie unser Schicksal brüderlich und liebevoll teilen!
Wir, die Ungarn in Transkarpatien, wollen nicht mehr, als die Erfüllung der Wünsche, die alle Menschen haben, dass wir in der Lage sind, für unsere Familien eine mehr oder weniger berechenbare Zukunft zu bauen, und zwar in einem Umfeld, wo wir uns sicher fühlen können. Dazu ist in erster Linie eine stabile politische und rechtliche Umgebung notwendig, in der wir aus unseren erarbeiteten Gütern und durch die von uns geleisteten Steuern nicht nach dem Prinzip „gleich und gleicher“, sondern proportional teilhaftig werden.
Wir, die Ungarn in Transkarpatien, sind der ungarischen Regierung sehr dankbar für die wirtschaftliche, soziale, kulturelle Hilfe und für das politische Eintreten, das so ehrlich, rein und edel ist, wie der Kampf der Jugend von 1956 war.
Dieser Eifer soll die Nation sowohl hier, als auch dort weiterbringen!
Wir wünschen, dass der ungarische Staat immer diese Kraft bewahrt und in einer Weise sich weiterentwickelt, wie jetzt! Széchenyi sagte: „Der liebe Gott hilft dem Menschen nie direkt, sondern immer nur indirekt, nämlich durch seinen Verstand, durch seine Wissenschaft, durch seinen Fleiß. (…) Die Größe und Glückseligkeit der Nation existiert immer nur in der Nation selbst.“
Gott segne die Ungarn, dass die Nation ihr Glück findet und ihre frühere Größe erlangt!!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Deutsche Übersetzung: Dr. Gábor Bayor