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Untergang des Abendlandes

Ein Gastbeitrag von ISTVÁN HEINRICH

Unsere Zeit ist tragikomisch: tragisch, weil wir uns dem Verderben nähern und komisch, denn wir immer noch da sind. (Kierkegaard)

Der Name Oswald Spengler (1880-1936) ist heute nur wenigen bekannt. Er ist einer von den unwürdig vergessenen Wissenschaftlern, die aus heutiger Sicht unerwünscht sind erwähnt zu werden. Die Würdelosigkeit trifft freilich nicht ihn, sondern uns.  Über den tatsächlichen Wert eines Menschen sagt das wenig aus, ob er dem gegenwärtigen Denkmuster entspricht oder nicht.

Spengler wurde 1880 in Blankenburg am Harz geboren. Er studierte Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie in Halle, München und Berlin. Dank seiner vielseitigen Bildung besaß er umfangreiche Kenntnisse in vielen Bereichen der Wissenschaft.

Geisteswissenschaften

Oswald Spengler ist eine hervorragende Gestalt der Geisteswissenschaften. Um die Jahrhundertwende 1900/2000 schien die naturwissenschaftliche Methode der Fakten- und Gesetzsuche auch in der Sprach- und Geschichtswissenschaft sowie der Psychologie Herr zu werden. Die Methode der Geisteswissenschaften ist ganz anders: Durch Einfühlung und Analyse suchen sie das Wesen der menschlichen und geschichtlichen Phänomene zu begründen. Ihre künstlerische Schöpfungsweise ist Weltanschauung und Analyse. Diese Menschen sind große Wissenschaftler, sie arbeiten mit einem umfangreichen Datenschatz und mit philologischem Gewissen, dennoch entdecken sie die Wahrheit durch Intuition, gleichsam wie ein Dichter. Diese Art der Wesensschau stört allemal die berufsmäßigen Geschichtswissenschaftler. (Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit,1928)

Sein Hauptwerk ist Der Untergang des Abendlandes – Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte. Der erste Band mit dem Titel Gestalt und Wirklichkeit erschien 1918, wenige Wochen vor Ende des Ersten Weltkriegs. Der zweite Band Welthistorische Perspektiven folgte im Jahre 1922 Spengler wurde schlagartig berühmt und sein Werk stand  in literarischen, wissenschaftlichen und politischen Kreisen im Kreuzfeuer heftiger Debatten und Kontroversen.

Kulturzyklen

Spengler verwarf die Art einer linearen Geschichtsschreibung, wie sie im 19. Jahrhundert üblich war. Er verneinte, die Geschichte der Menschheit als Geschichte des Fortschritts zu betrachten. Nach seiner Untersuchung gibt es nicht nur eine Kultur, die sich kontinuierlich entwickelt, sondern Kulturzyklen. Es entstehen immer wieder neue Kulturen, die eine Blütezeit erleben, ihre „Seele“ vollenden, dann nach einer Phase des Verfalls untergehen. Er fasste die Kulturen als organische Gebilde auf mit einer ungefähren Lebensdauer von etwa 1000 Jahren. Er schrieb: „Kulturen sind Organismen. Weltgeschichte ist ihre Gesamtbiographie.“

Ist es verwunderlich, dass diese Auffassung vielfach zum Aufruhr, Kopfschütteln und Widerspruch sorgte? Unerwartete Ideen und Einsichten sind uns Menschen schwer zu verdauen. Aber damit ist noch nicht genug. „Das Gespenstische beginnt dort, wo aus Spengler sein ursprünglicher Beruf, der Mathematiker hervortritt“ schreibt der ungarische Schriftsteller Antal Szerb in seinem großartigen Werk: Geschichte der Weltliteratur, 1941.

Gleichartigkeit und Gleichzeitigkeit

Spengler identifiziert für die zurückliegenden 5000 Jahre acht Hochkulturen, die sich zeitlich manchmal gleich, örtlich aber voneinander fern entwickelt haben. So die Ägyptische und Babylonische Kultur, seit ca. 2600 v. Chr.; die Indische und Chinesische Kultur seit ca. 1400-1500 v. Chr. Die Antike, also griechisch-römische Kultur seit 1100 v. Chr. Im Mittemeerraum; die Arabische Kultur, die auch die frühchristliche und byzantinische Kultur seit Christi Geburt am östlichen Mittelmeer enthält. Die Aztekische Kultur seit ca. 200 n. Chr. Im Mittelamerika und schließlich die Abendländische, von Spengler auch „faustische“ Kultur genannt, seit 900 n. Chr. im Westeuropa und später auch in Nordamerika.

Nach Spenglers Betrachtung ähneln sich sämtliche Kulturen einander. Sie haben eine analoge Geschichte und haben eine sich jeweils entsprechende innere Struktur. Sie besitzen ihre Frühzeit, ihre Hochblüte, ihr Verfallsstadium und schließlich ihr Sterben. Dies ermöglicht, die Zukunft noch nicht abgeschlossener Kulturen zu prognostizieren. Er stellt Tabellen auf:    Caesar in der Antike entspricht Mohammed in der Arabischen und Cromwell in der faustischen Kultur. Mit ihnen beginnt die Epoche der Zivilisation, d.h. die letzte Phase der Kultur. Der Kulturtod vollzieht sich, indem Kultur in Zivilisation übergeht.

 An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass Spengler den Begriff „Zivilisation“ nach der deutschen Tradition als Antonym zur Kultur verwendet. Aus heutiger Sicht verstehen wir unter Zivilisation viel mehr die Beförderung der Menschen aus dem Zustand der Barbarei zur Bildung zu Bürgern, welche die Kunst des Lebens erlernen. (John Lukács: Das Ende des zwangszigsten Jahrhunderts und der Neuzeit,1993)

 Die Gleichzeitigkeit und Gleichartigkeit der Hochkulturen werden durch zahlreiche andere Beispiele veranschaulicht:  Homers Ilias und Odyssee (8. Jahrhundert v. Chr.) und das abendländische Nibelungenlied (13. Jahrhundert) seien gleichzeitig zu denken. Gleichfalls traten nach jeweils neun Jahrhunderten vom Beginn der jeweiligen Hochkulturen Alexander der Große in der Antike und Napoleon Bonaparte im Abendland auf.

Untergang des Abendlandes

Wie endet nun die abendländische Geschichte? Welche Perspektiven bleiben für uns? Spengler prognostizierte zu seiner Zeit rund 200 Jahre bis zum Ende der abendländischen Kultur. Seitdem verflossen bereits 100 Jahre. Welche Phänomene charakterisieren die Endphase einer Hochkultur? Spengler weist etwa auf folgende Zeichen hin:  Herrschaft der anorganischen Weltstädte anstatt des lebensvollen Landes. Kühler Tatsachensinn anstelle der Ehrfurcht vor dem Überlieferten. Materialismus und Irreligiosität. Anarchistische Sinnlichkeit, Unterhaltungsindustrien. Zusammenbruch der Moral und Tod der Kunst. Zivilisationskriege und Vernichtungskämpfe.

Wenn wir heutzutage ähnliche Warnsignale erfahren, dann das gibt wohl zu denken. Wir dürfen dennoch nicht die klugen Worte von La Rochefoucauld vergessen: „Die Dinge sind niemals so schlecht – oder so gut – wie sie uns erscheinen“. Vor allem sollen wir nicht in Verzweiflung fallen und den Sinn des Lebens vor Augen verlieren: „Was haben wir auf dieser Welt zu schaffen? Nach Kräften für das Edelste zu kämpfen. Denn vor uns steht das Schicksal unseres Volkes (Mihály Vörösmarty: Gedanken in der Bibliothek, 1844)

Wirkung und Würdigung

Wenige wissenschaftliche Werke lösten in weiten Kreisen so eine massive Ablehnung aus, wie Spenglers Werk. Dies kann freilich auch als ein unleugbares Zeichen für seine Bedeutung gesehen werden. Die Franzosen und Engländer verwarfen Spenglers Werk gänzlich als ein Krankheitssymptom der pessimistischen Stimmung der Deutschen nach dem Krieg. Die Alliierten hatten gerade den Krieg gewonnen, wieso hätten sie daran glauben sollen, dass die schweren Zeiten gerade jetzt beginnen würden.

Trotz der allgemeinen Ablehnung in den Kreisen der professionellen Wissenschaftler konnte Der Untergang des Abendlandes in weiten Teilen der Bildungsschicht Begeisterung hervorrufen sowohl in Deutschland als auch in Österreich und Ungarn. Gottfried Benn und Egon Friedell haben den Blick Spenglers auf die Geschichte ernst genommen und gewürdigt. Antal Szerb lobte seinen kristallklaren Stiel und seine beeindruckenden Ideen zur Erhellung historischer Phänomene. Er hob den künstlerischen Wert des Werkes hervor, da Spengler die Ganzheit der Geschichte zu einem vollkommenen Bau geformt hatte.

Zum Schluss gehören noch einige Worte über Spenglers Haltung zum Nationalsozialismus und Bolschewismus hierher. Spengler lehnte den Nationalsozialismus vom Anfang an entschieden ab. Er distanzierte sich öffentlich von Hitler. Der Propagandaminister Goebbels bemühte sich sehr, Spengler auf seine Seite zu ziehen, doch schlug Spengler Goebbels Angebote konsequent aus. In seinen letzten Jahren rechnete er mit dem Nationalsozialismus wiederholt ab und stellte ihn auf eine Stufe mit dem Bolschewismus, den er bis dahin als „das größte aller Übel auf der Ebene der Politik“ bezeichnet hatte.

Oswald Spengler starb am 8. Mai 1936 an Herzversagen.

Der Autor, Dr. István Heinrich ist Professor für Agrarökonomie i.R.

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