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Schweizer-Modell als „Normalität“ in Ungarn?

19. Februar, 2021 von KLARA KOTAI-SZARKA

Die Parlamentswahlen in Ungarn stehen erst im Mai 2022 an, aber Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, der Ungarn mit Hilfe der MSZP-SZDSZ Regierungen in 8 Jahren Regierungszeit in die tiefste Wirtschaftskrise schlittern liess, rüstet sich schon für den Wahlkampf: gemeinsam mit seiner Frau, Klára Dobrev, macht er den ungarischen Wählern Versprechungen, die bei jedem, der sich ein wenig in der Wirtschaft und Politik auskennt, nur Staunen hervorruft.

Klára Dobrev, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments (S&D), empört sich auf ihrer Facebook-Seite, wie niedrig die Renten in Ungarn sind und bringt ein Beispiel aus dem Supermarkt in Budapest, wo sie (angeblich) eine alte Dame getroffen hat. Diese habe überlegen müssen, ob sie Banane oder Mandarine kaufen soll, weil ihr Geld nicht für beide reichte, obwohl sie ihr ganzes Leben lang berufstätig gewesen war.

Frau Dobrev schreibt: „Ich weiß, dass das Schicksal der alten Dame kein Einzelfall ist. Das dürfte man aber nicht zulassen! Die Rentner wollen auch so leben, dass sie nicht immer nachrechnen müssen, ob das Geld bis Ende des Monats reicht. Das haben Orbán & Co. seit 10 Jahren nicht verstanden, deshalb gibt es da keine Veränderung. Die Renten müssen den Lohnerhöhungen angepasst werden. Sonst ist ein anständiger Lebensabend nicht möglich. Deshalb sagen wir, dass wir in 2022 die gerechte, Schweizer-indexierte, Rentenberechnung wiederherstellen werden.“

Wenn man diesen Text liest, kommt man aus dem Staunen nicht heraus! Was meint sie mit „Wiederherstellen“ der Pensionsberechnungsmethode nach Schweizer Modell? Sowas gab es in Ungarn weder unter dem Kommunismus noch nach 1989. Meinte sie vielleicht die sog. „Frankenkredite“, die unter der Regierung ihres Ehemannes, Ferenc Gyurcsány, großzügig und ohne Risikoprüfung an alle vergeben wurden? Will Dobrev wieder ein „Schweizer Modell“ an Menschen anbieten, die schon damals keine Ahnung hatten, wie Fremdwährungskredite funktionieren und auf die massive Bewerbung der Kredite reingefallen und eine Zahlungsverpflichtung in Schweizer Franken eingegangen sind, wodurch sie in der Finanzkrise über nacht überschuldet wurden, ohne jemals einen Franken gesehen zu haben?

Oder meint Klára Dobrev gar, dass – im Vergleich mit der Schweiz – die Rentenerhöhungen in Ungarn zu hoch seien? Seit 2012 werden in Ungarn die Renten – gesetzlich vorgeschrieben – und entsprechend der prognostizierten Inflationsrate im Januar jedes Jahres erhöht. Übersteigt die tatsächliche die prognostizierte Teuerung, wird eine Korrektur durchgeführt. In der Praxis sind das ca. 3 % Erhöhung pro Jahr. In der Schweiz ist das Rentensystem wesentlich anders als in Ungarn. Üblicherweise beruht das Ruhestandseinkommen auf drei Säulen: Private Vorsorge, also Ansparungen, die auf dem Kapitalmarkt angelegt werden, Betriebspensionen, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf Basis individueller Vereinbarungen finanziert, und die „staatliche“ Rente, in welche jeder in der Schweiz lebende Mensch im Alter zwischen 20-65 einzahlt, sogar Studenten. Diese letztgenannte Säule des Schweizer Rentensystems ist mit dem ungarischen am ehesten vergleichbar und nur über diese kann der Schweizer Bundesrat vollumfänglich entscheiden. Dieser prüft also alle zwei Jahre, ob die Renten wegen der Preiserhöhungen angepasst werden müssen oder nicht. Die letzte Erhöhung war 2019 und basierte auf dem sogenannten Mischindex, einem Preis- und Lohnindex. 2021 steigt nun die monatliche Minimalrente um 10 Schweizer Franken, die Maximalrente um 20 Franken. Das bedeutet ca. 0,8 % Rentenerhöhung.

In der Schweiz werden die Renten massiv besteuert und viele Rentner verbrauchen den überwiegenden Teil ihrer Renten für die Bezahlung ihrer Wohnungsmieten und für die Ausgaben des tagtäglichen Lebens, genauso wie in Ungarn. Wobei in Ungarn viel mehr alte Menschen in ihrem eigenen Haus oder in Eigentumswohnungen leben und somit nicht von den regelmäßigen Mieterhöhungen betroffen sind. Ebenso können die ungarischen Rentner – übrigens auch EU-Bürger, die sich in Ungarn niedergelassen haben – sämtliche öffentliche Verkehrsmittel gratis nutzen. Eine Vergünstigung, die reisefreudigen Rentner in der Schweiz nicht zur Verfügung steht.

Frau Dobrev weiß anscheinend auch nicht, dass es ab 2021 in Ungarn wieder eine 13. Monatsrente zurückgeführt wird. Diese wurde 2009 von der MSZP-SZDSZ (Postkommunisten-Liberalen) Regierung abgeschafft.

Von einer Europapolitikerin könnte man auch erwarten, dass sie nicht das Rentensystem eines nicht EU-Mitgliedstaates lobt und die OECD Statistiken kennt: diese geben Auskunft über das Verhältnis der Renten zum Durchschnittlohn in den OECD-Ländern.

In Deutschland ist die Durschnittpension 51 % der Löhne, in der Schweiz 44 % und in Ungarn 84 %. Will also Frau Dobrev die Pensionen ans Schweizer Niveau anpassen, propagiert sie Renten in der Höhe von 44% statt 84% der Durchschnittslöhne!

Es ist kein Wunder, dass die völlig abgehobene Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments keine Ahnung von Pensionssystemen und sonstigen Fachfragen hat. Sie residiert mit ihrem Gemahl, Ex-Ministerpräsident Ferenc Gyurcsány, in einer Villa im Nobelviertel von Budapest.

Ihr Großvater, Antal Apró war ein einflussreicher Kommunist und zwischen 1949-1989 ununterbrochen in div. Top-Positionen in der ungarischen kommunistischen Partei tätig. Klára Dobrev spielte mit ihrer Mutter – Piroska Apró, die während der Wende eine wesentliche Rolle bei der Privatisierung staatlichen Eigentums und begründete das Milliardenvermögen ihrer Familie, in Ungarn „Apró-Gyurcsány-Dovrev-Clan“ genannt.

Klára Dobrev ist in einer Villa aufgewachsen, welche 1952 vom rechtmäßigen, jüdischen Eigentümer für den Großvater, den treuen, hochrangigen Kommunisten, Genosse Apró, konfisziert wurde. Dieser nützte den Luxusbau als „Dienstwohnung“ und als er 1989 „außer Dienst gestellt“ wurde, gab er die Dienstwohnung keinesfalls an den Staat zurück, sondern lebte dort weiter bis zu seinem Tod am 9. Dezember 1994. 1995 „privatisierte“ die damals 23-jährige Enkeltochter, Klára Dobrev die ca. 160 m² grosse „Dienstvilla“ zu einem Preis von HUF 9 Mio., was schon damals eine lächerlich niedrige Summe für eine Villa im Nobelviertel von Budapest war. (Eine Wohnung im Plattenbau am Stadtrand von Budapest kostete mehr.)

Wer solche Immobilienverkaufspreise gewöhnt ist, vermisst offensichtlich jeden Sinn von Realität: Wenn die jetzt 49-jährige Dobrev von einer „alten Dame“ spricht, dann müsste die Rentnerin ca. 70 Jahre alt sein. D.h. sie war zum größten Teil noch während des Kommunismus und nach der Wende berufstätig, als die Postkommunisten und Liberalen an der Macht waren. Warum haben die Genossen und Genossinnen von Frau Dobrev sowie ihr Ehemann nicht z.B. mit der Erhöhung des Mindestlohnes dafür gesorgt, dass die „alte Dame“ ein so gutes Gehalt bekommt, dass sie jetzt mit der Vergütung der Wertminderung durch Inflation gut von ihrer Rente leben kann?

Inzwischen präsentiert sich der Ehemann von Klára Dobrev als „Führer der Opposition“ und hielt am letzten Samstag eine „Grundsatzrede“ wie es sonst die Präsidenten der Vereinigten Staaten tun. Ferenc Gyurcsány sagte vorige Woche vor seinen Anhängern: „Die Entscheidung der ungarischen Oppositionsparteien zur Zusammenarbeit ist von historischer Bedeutung…Das Beste, was im vergangenen Jahr passieren konnte, ist die Geburt einer patriotischen, europäischen, demokratischen Opposition gegen die Orbán-Regierung.“

Eine „patriotische, europäische, demokratische Opposition gegen die Orbán-Regierung“ mit Gyurcsánys Führung? Schon dieses Eigenschaftswort: „patriotisch“ wirkt in Bezug auf Gyurcsány, als würde man George Soros als „nationalistisch“ bezeichnen.

Wenn die ungarische Opposition jetzt Gyurcsány als quasi Frontmann gegen Orbán einsetzt, hat sie schon verloren. Gyurcsány kann Ungarn nur in den Abgrund führen oder „privatisieren“. Das hat er schon bewiesen. P.S. Die Facebook-Seite von Klára Dobrev, Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments ist so eingestellt, dass nur die Inhalte gelesen und geteilt werden können. Also Kommentare von everyone sind dort nicht erwünscht. Das zeigt das Demokratieverständnis der Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments eindeutig.

Autorin ist Dr. Klara Kotai-Szarka Unternehmensberaterin (Wien), studierte Politik- und Rechtswissenschaften

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