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1.März, 2021, Magyar Hírlap von IRÉN RAB
Studenten der finnischen Akademie für Theater und Kunst reichten im Dezember eine Beschwerde gegen ihre Lehrer ein. Das Verbrechen der Lehrer war, ein Werk voller Gewalt mit ihren sensiblen Schülern auf der Schulbühne darstellen zu wollen. Das Werk war nichts anderes als die schönste Liebestragödie der Weltliteratur, Romeo und Julia. Ich weiß, dass viele Menschen im Stück verscheiden, es gibt genügend Blut in verschiedenen Formen, auch das Liebespaar stirbt, aber genau das macht die Katharsis aus, und das ist es, was die Geschichte der Verliebten in Verona verewigt. Die finnische neue Welle greift bereits die inhaltlichen Probleme an und sie könnten das Stück ebenso gut neu schreiben, indem sie zu Recht das sinnlose Töten, die Selbstgefälligkeit der Familien, die Unterwerfung von Frauen auslassen würden.
Wir hier auf dem Beinahe-Balkan sind in diesem revolutionären Kampf erst bei den strukturellen Fragen gelandet. Die demokratische Basisgemeinschaft der ungarischen Schauspielstudenten lief im ganzen Land mit ihrem Community-Marathon vergeblich herum, um die Studenten anderer Universitäten zu ermutigen, mit ihr vereint gemeinsam zu kämpfen. Das Scheitern lag nicht an ihnen. Beachten Sie, dass Debrecen, Szeged, Eger etc. einfach ländlich sind, ohne Beinamen, wo die neuen Lieder der neuen Zeit noch nicht eingetroffen sind. Letztere sind nur für Budapest, für die einzige wirkliche, multikulti, nach Westen offene Stadt im ansonsten provinziellen Ungarn geeignet. Wir dachten zunächst, dass eher das zu seiner eigenen Statue gewordene fortschrittliche Lehrpersonal (zurückgeblieben aus dem Sozialismus) die revolutionäre Atmosphäre schafft, und mit seiner Führung die rotweissen Barrikaden an der Vas Strasse gebaut wurden. Ich muss alle enttäuschen, dem war nicht so. Wir sind so sehr in unserer kleinen Provinzwelt versunken, dass wir nicht einmal die frischen Winde des westlichen Wandels bemerken.
Aber die jungen Theater-Leute, sie hören das Wort der Zeit. Was sie uns in den letzten Monaten gespielt haben, ist genau die Art und Weise, wie man heutzutage an westlichen Universitäten agiert, viel fortschrittlicher als wir. Dort diktieren die Studierenden, von wem, was und wie sie lernen wollen. Mit ihrem jugendlichen und selbstbewussten Impuls klassifizieren sie ihr Lehrpersonal, indem sie es, wenn nötig, zum Schweigen bringen, indem sie es aus dem Tempel der Wissenschaft kurzerhand ausschließen. Aufgrund meiner Erfahrungen kann ich ruhig behaupten, dass ein/e Student*In sich zu normalen Zeiten an der Universität einschreibt, mit dem Wunsch, Wissen zu erlangen, und erst dort, unter den Einflüssen, die er oder sie hatte, Revolutionär*In wird. Weil es dort einige engagierte Aktivisten gibt, störende Stimmen, die ihre Kollegen terrorisieren, ihnen ihre eigene Meinung aufzwingen, und wehe denen, die ihnen nicht folgen!
Ich könnte Ihnen viele Beispiele aus der deutschen Hochschulwelt nennen, wie fortschrittliche Studierende das politisch korrekte Weltbild an der Universität formen. In Münster haben die dortige Studentenregierung (AStA) und die alle drei oder mehr Geschlechter in sich vereinenden kritischen Mediziner*Innen die Rücknahme der Lehrrechte von Professor Paul Cullen gefordert. Obwohl der Professor ein in allen Aspekten neutrales Fach lehrt, nämlich Labormedizin, ist er der Präsident der Gesellschaft „Ärzte für das Leben e.V.“, die sich gegen die Abtreibung einsetzt. Er wurde daher als frauenfeindlich, unwissenschaftlich und antisemitisch gebrandmarkt.
An der Universität Frankfurt wurde im vergangenen Semester eine renommierte Ethnologin von ihren Studenten angegriffen, weil sie ein Seminar über die symbolischen Interpretationen des islamischen Kopftuchs geben wollte. Die Professorin ist übrigens Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums globaler Islam und sie hätte renommierte Dozenten eingeladen, was die Studierenden sofort barsch abgelehnt haben. Darüber hinaus wurden andere Studentenorganisationen mobilisiert, um Susanne Schröter daran zu hindern, an anderen Universitäten aufzutreten. Sie ließen sie nicht in die Vorlesungsräume, sie haben sie grob beschimpft, sie nannten sie eine antimuslimische Rassistin. Ihr wurde vorgeworfen, eine rechte Provokateurin zu sein, das ist ja die schlimmste Bewertung unter progressiven Pseudolinken. Ihr Name wurde als „umstritten“ bezeichnet, macht ja nichts, das ist ja auch das stehende Adjektiv des ungarischen Ministerpräsidenten in der deutschen Presse! Aus Angst vor Ausgrenzung haben sich viele Studenten, aber auch ihre Kollegen von ihr distanziert,
solche Zeiten hat man in braunen oder roten Diktaturen erlebt.
Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir uns weder über die Ablehnung von Attila Vidnyánszky, noch über die Haltung des Freiheitskämpfers der Theateruniversität und die Haltung gegenüber all jenen wundern, die die Transformation der Uni in eine Stftungsuniversität unterstützt oder sogar eine Rolle dabei gespielt haben. Wir haben andere Adjektive für Meinung und Charakterzerstörung. Jeder, der sich erinnern kann, kann sich an die unflätigen Worte, mit denen
Menschen auf der nationalen Seite stigmatisiert wurden,
erinnern. Es ist kein Zufall, dass der Stiftungsrat die Namen neu eingestellter Lehrer nicht veröffentlicht, um sie so lange wie möglich vor Angriffen zu schützen.
Man sieht überall, dass das Wappen des Handelns, kommend aus Amerika „cancel culture“, zu einem Welt-Wappen geworden ist. Die Aktivisten der Bewegung fegen einfach die Ansichten, Meinungen und Entscheidungen, welche sie nicht mögen, vom Tisch, sie streiten nicht, sondern sie (ver)urteilen sofort ohne Fakten oder Argumente. Vor ein paar Jahren glaubten wir an die freie Welt, und jetzt sind
Gewalt, Meinungsterror, virtuelles Lynchen das Schicksal der Andersdenkenden.
Derjenigen, die immer noch die Mehrheit der Gesellschaft ausmachen. Das Wort hingegen wird ihnen von einer lauten, gewalttätigen Minderheit im Namen der politischen Korrektheit mit Gewalt entzogen.
In einer repräsentativen Umfrage in Frankfurt ließe etwa die Hälfte der Befragten nicht zu, dass jemand, der anders denkt als die offizielle Linie zu den inhaltlichen Themen wie Islam, Einwanderung und Geschlecht erlaubt, darüber dozieren dürfte. Die Bücher solcher Professoren sollten sogar aus der Universitätsbibliothek hinausbefördert werden. Die an der Forschung beteiligten Studenten sprachen auch von ihrer ideologischen Einstellung, und die linken Studenten waren weit weniger tolerant als ihre liberalen oder konservativen Kollegen.
In Deutschland garantiert das Grundgesetz die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Bildung, aber wir sehen, dass es immer mehr Hindernisse dafür gibt. Natürlich zeigen sie sofort mit dem Finger auf uns, denn
es gibt kein Thema, wo sie uns Ungarn nicht finden könnten. Das Material wird ihnen ständig von der ungarischen Opposition geliefert.
Ich verstehe nicht, wer sich hierzulande über die höhnischen, verächtlichen und falschen Aussagen in der deutschen Presse freuen kann. „In einigen Ländern, sogar innerhalb der Europäischen Union, ist die Forschungsfreiheit bedroht. Zum Beispiel in Ungarn, wo die rechtskonservative Regierung die Wissenschaft einschränkt.“ Ich habe in Ungarn nie erlebt, dass die akademische Arbeit irgendeiner Universität von der Regierung je eingeschränkt worden wäre. Jeder sucht das Thema aus, welches er bearbeiten will, wofür er Geld beantragt und vielleicht bekommt, es gibt ja einen Wettbewerb. Nicht nur in unserem Land, sondern überall auf der Welt. Und ich habe auch nicht gehört – bis auf die eine Theater-Uni –, dass Schüler die Bildung gewaltsam vereiteln, ihre Lehrer diskreditieren würden.
Derweil im freien Deutschland haben nun Anfang Februar siebzig renommierte Professoren ein Netzwerk für die akademischer Freiheit gegründet. Aus dem Manifest geht klar hervor, dass die Gründer Gelehrte konservativer Werte sind. Sie sind besorgt, weil die akademische Freiheit zunehmenden ideologischen und politischen Beschränkungen unterliegt.
Sie glauben, dass einige versuchen, das Universitätsleben, die Forschung und die Bildung in ein politisches Instrument zu verwandeln, das auf Weltanschauungsstandards basiert.
Wenn sie nicht mit ihnen gehen, können sie erwarten, ausgeschlossen zu werden. Es gibt viel Druck.
Es ist schwer, die Dinge von hier aus zu beurteilen. Konservative deutsche Professoren machen sich dort Sorgen darüber, worüber sich linke Akademiker hier bei uns Sorgen machen. Ihr politisches Credo wurde sofort auf die Probe gestellt. Sie mussten zu einer verbalen Attacke auf eine Gastprofessorin am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien und am Institut der Erziehungswissenschaften in Berlin Stellung beziehen. Die gebürtige Kenianerin wurde von einem in Temesvár (Temeschburg, Timosoara) geborenen in der AfD politisierenden (sprich rassistischen, extrem rechts stehenden) Akademiker angegriffen. Das Gremium konservativer Professoren begriff die Provokation und stellte sich auf die Seite des Opfers und bewies damit, dass die Welt der Freiheit vor jeder Abweichung geschützt ist.
Für einen Moment war die Ordnung der Welt wiederhergestellt.
https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20210301-politikailag-korrekt-vilagkep
Übersetzung von Dr.Andrea Martin
Autorin Dr. phil. Irén Rab, Kulturhistorikerin