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Eine seltsame Republik

15. Juli 2024 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Wer französischer Staatsbürger ist, ist Franzose, unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Kultur. Sie bereichern nicht die Reihen des Rassemblement National. Sie sind nicht die Nation, sondern das Volk, das – so denken sie – von der neuen linken Volksfront vertreten wird.

„Wir können nicht zulassen, dass unser Land in die Hände von Rechtsextremen fällt“, sagte Kylian Mbappé auf einer Pressekonferenz, während er sich eine Maske in den französischen Nationalfarben aufsetzte. Vielleicht war darauf sogar ein gallischer Hahn abgebildet. Er wollte mit dieser Maske spielen, mit der gebrochenen Nase, damit Millionen von Zuschauern sein nationales Engagement sehen können. „Ich möchte das französische Trikot mit Stolz tragen“, fuhr er fort,

„ich möchte nicht für ein Land spielen, das nicht meine Werte vertritt“.

Die UEFA hat den französischen Fußballstar verwarnt und ihm nur erlaubt, auf dem Spielfeld eine Schutzmaske in neutraler Farbe zu tragen. Dafür gibt es Regeln, und die müssen eingehalten werden! Es gibt auch eine Regel zur Vermeidung von politischer Agitation, aber die Behörden konnten nicht entscheiden, ob Mbappé damit bereits agitiert oder nur seine private Meinung vor den Kameras kundtut, denn zu letzterem hat er natürlich das Recht. Deshalb konnte er nach der ersten Wahlrunde vor dem Fußballpublikum an seine Landsleute appellieren, zur Wahl zu gehen und für ähnliche Werte wie er selbst, gegen die spaltende Nationale Sammlungsbewegung abzustimmen.

Mbappé ist ein Weltstar mit 40 Millionen Followern in den sozialen Netzwerken, ein Influencer mit Leib und Seele. Seine Follower beobachten, was er isst, trinkt, oder sagt. Er ist ein intelligenter Spieler, der sich bewusst sein muss,

dass es eine Verantwortung ist, auf der Bühne der Öffentlichkeit zu stehen und zu sprechen.

Als Sohn eines kamerunischen Vaters und einer algerischen Mutter ist Mbappé ein Fußballer mit französischer Identität. Algerien war bis 1963 eine französische, Kamerun von der Bismarck-Expansion bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine deutsche Kolonie. Dann wurde das Land durch den Friedensvertrag zur Hälfte den Briten und zur anderen Hälfte den Franzosen zugesprochen, und die Franzosen verfolgten in Kamerun die gleiche Kolonialpolitik wie zuvor die Deutschen: eine afrikanische Version der Zwangsarbeit. Die koloniale Welt ging in den 1960er Jahren zu Ende, und der besser ausgebildete und geschäftstüchtigere Teil der einheimischen Bevölkerung entschied sich für ein europäisches Leben: Die Ahnen von Mbappé für das französische. Und so wurde aus dem goldfüßigen Jungen, der in der Nähe von Paris geboren wurde, ein echter Franzose. Die neue französische Identität ist an ihm deutlich zu erkennen, ebenso wie an der gesamten Nationalmannschaft. Sie singen die Marseillaise Hand am Herz mit großer Begeisterung, aber woran denken sie wohl bei diesen Zeilen? „Zu den Waffen, Bürger! Formt Eure Schlachtreihen,
marschieren wir, marschieren wir! Bis unreines Blut unserer Äcker Furchen tränkt!“

Das Schicksal der Familie Mbappé trägt dazu bei, diesen Widerspruch aufzulösen, denn wer französischer Staatsbürger ist, ist Franzose, unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Kultur. Sie bereichern nicht die Reihen des Rassemblement National. Sie sind nicht die Nation, sondern das Volk, das – so denken sie – von der neuen linken Volksfront vertreten wird, was in unseren ungarischen Ohren ziemlich verdächtig klingt. Die arroganten Franzosen und Deutschen sollten einmal auf die ungarische historische Erfahrung hören, die die Volksweisheit in ein Sprichwort gefasst hat: Gib Fremden eine Bleibe und sie werden dich aus dem Haus prügeln!

Es kommt einem auch die große Umverteilung am Ende des Ersten Weltkriegs in den Sinn. Im Jahr 1500 gab es nur 100.000 Rumänen in Siebenbürgen, 1918 waren es drei Millionen. Durch jahrhundertelange kontinuierliche Migration, Umsiedlung und Einwanderung wurde mehr als die Hälfte der Bevölkerung Siebenbürgens rumänisch. Am 1. Dezember 1918 stimmten die siebenbürgisch-rumänischen Delegierten in Gyulafehérvár (Karlsburg oder Weißenburg, heute Alba Iulia) einstimmig dafür, dass Großrumänien nun um das Gebiet Siebenbürgen bereichert werden sollte. Einstimmig deswegen, weil die einheimischen Ungarn in Siebenbürgen nicht gefragt wurden. Die Siebenbürger Sachsen wurden befragt, und sie stimmten für Rumänien. Als rumänische Staatsbürger konnten sie sich dann sofort von den ihnen in 1224 vom ungarischen König Andreas II. verliehenen und siebenhundert Jahre lang nie von einem ungarischen König oder Fürsten angetasteten Privilegien verabschieden. Auf Anweisung der ungarischen Regierung stellte die ungarische Bahngesellschaft damals den Rumänen noch kostenlose Sonderzüge zur Verfügung, um zum Veranstaltungsort in Gyulafehervár zu gelangen, da die Nationalitäten im Königreich Ungarn ein Recht auf demokratische Selbstbestimmung hatten.

In Frankreich hat sich die volksfrontartige Mobilisierung ausgezahlt. Während im ersten Wahlgang ganz Gallien mit Ausnahme von Paris in nationales Dunkelblau getaucht war, wurde im zweiten Wahlgang diese Ordnung umgestoßen, das Land wurde bunt, die bunte Linke gewann und selbst Macrons Renaissance wurde mitgeschleift. Zehn Millionen Alt-Franzosen stimmten für den Zusammenschluss, die neuen Franzosen, die vielleicht Mbappés Ruf nach einer Volksfront, die „ihre Interessen vertritt“, beherzigten, zeichneten das Kreuz ebenso bei der Volksfront. Es waren zwar nur sieben Millionen, aber das demokratische französische Wahlsystem bescherte ihnen siebenunddreißig Sitze mehr als dem als rechtsextrem bezeichneten Front National.

Zwischen den beiden Wahlgängen hat die französische Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen Marine Le Pen eingeleitet. Die neutrale Staatsanwaltschaft ist ausgerechnet in diesem Moment während der Wahl der Ansicht, dass die Parteivorsitzende die gesetzlich zulässigen Wahlkampfkosten für die Präsidentschaftswahlen 2022 überschritten haben könnte. Sie ist nicht die Einzige, aber bei Stichproben hat man gerade sie gefunden. Darüber hinaus wird ihr vorgeworfen, EU-Gelder veruntreut zu haben, weil die Assistenten der Europaabgeordneten ihrer Partei nicht ordnungsgemäß bezahlt wurden.

Der französische Rechtsstaat mag durch die jüngsten Umfragen aufgeschreckt worden sein, die zeigten, dass Le Pen gute Chancen hat, die Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren zu gewinnen, mit einem Stimmenanteil von über fünfzig Prozent in der ersten Runde. Und dann könnte die bunte Welt der Franzosen wieder nationaler werden.

Die linksbunte Volksfront mobilisiert vorerst durch Panikmache gegen die „extreme Rechte“.  Die Frage ist, wann Neufrankreich, das zu vierzig Prozent einen Migrationshintergrund hat, dessen überdrüssig wird und beschließt, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und seine eigenen Interessen anstelle der Volksfront höchstpersönlich durchzusetzen.

Autorin, Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin, Chefredakteur des Ungarnreals

Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20240711-furcsa-koztarsasag

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