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Der Eiserne Kanzler und die deutsche Erinnerungspolitik

29. Dezember 2022 Magyar Hírlap von IRÉN RAB

Mit Zustimmung der deutschen Regierung ließ Außenministerin Annalena Baerbock das Bismarck-Gemälde aus dem diplomatischen Konferenzraum des Ministeriums entfernen. Der Raum, der bisher nach dem ersten deutschen Außenminister, der das Auswärtige Amt ins Leben rief, benannt war ,,wurde anstelle des Bismarck-Zimmers in „Saal der Deutschen Einheit“ umbenannt.

Otto von Bismarck (1815-1898), einer der bedeutendsten europäischen Staatsmänner des 19. Jahrhunderts, ist vielleicht die bedeutendste Figur der deutschen Geschichte. Es gibt kein Dorf und keine Stadt, in der nicht eine Statue oder ein Denkmal des Eisernen Kanzlers steht, eine Straße, ein Platz oder ein Gebäude nach ihm benannt ist. Weil er Deutschland groß machte, die vielen kleinen Staaten vereinte und das zweite Deutsche Reich schuf, eine geeinte deutsche Macht, sowohl wirtschaftlich als auch militärisch. Wenn nötig, auch mit Blut, Eisen und Kriegen. Ein angesehenes Imperium benötigte eine Kolonie, und so eroberte es, dem Zeitgeist entsprechend, etwa zweieinhalb Millionen Quadratkilometer des nicht kolonisierten Weltgebiets. Was die Engländer und Franzosen ihnen hinterlassen hatten. Sie betraten Ost- und Westafrika und sogar das Land der Papuas, wo eine Inselgruppe und ein Meer noch heute Bismarcks Namen tragen.

Die Rationalisierung des öffentlichen Schul- und Hochschulwesens, Einführung der Sozial- und Rentenversicherung, eine Reihe von Reformen und eine fruchtbare Außenpolitik sind allesamt Verdienste Bismarcks.

Die dankbare Nachwelt hat sich an ihn erinnert. Bis jetzt. Denn seit dem Einzug der fortschrittlichen Bewegungen (#metoo, woke, cancel culture, LGBTQ+) in Deutschland ist der konsequente, strenge und ordentliche Reichsbaumeister im Weg. Es stellt sich heraus, was wir schon immer über ihn vermutet haben: Bismarck war ein weißer, christlicher, männlicher Chauvinist und seine Junker-Herkunft ist heutzutage auch keine gute Empfehlung mehr. Die politische Distanzierung vom Geist des Eisernen Kanzlers ist schon lange im Gange, das heutige Deutschland kann sich mit der Bismarckschen Politik nicht anfreunden und toleriert seine Präsenz im kollektiven Gedächtnis nur um der Tradition willen. Seine Verdienste müssen schleunigst überprüft werden! Und jetzt werden sie überprüft, zum Beispiel in Hamburg, wo eine Bismarck-Statue, die doppelt so groß ist wie die ehemalige Stalin-Statue in Budapest, der dortigen rot-grünen Stadtregierung im Wege steht. Zum Glück ist die Statue so groß, dass sie kaum bewegt werden kann.

Bei den Gemälden zum Beispiel ist die Situation viel einfacher. Vor etwa drei Jahren lud die sozialistische Staatsministerin der Regierung Merkel ihre Freundinnen zu einer Party im Außenministerium ein. Sie gingen den Korridor entlang und wurden von den Wänden, vielleicht ein wenig anmaßend, von Portraits abschätzig lächelnder ehemaliger Außenminister und Staatsmänner angestarrt. Alles Männer!

Wir müssen die männliche Dominanz in der Diplomatie beenden, wir müssen eine Frauenquote einführen,

sagte sie später in ihrer Ansprache. Wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns!

Und siehe da, jetzt haben wir bereits die erste Außenministerin Deutschlands, die grüne Trampolinkönigin Annalena Baerbock. Sie fand es irritierend, dass der große Konferenzraum des Ministeriums – den sie jeden Tag betreten muss, wenn sie in Berlin ist – Bismarckzimmer heißt. Außerdem hängt gegenüber ihrem Sitz ein Bild des Eisernen Kanzlers, und wenn sie von ihrem Laptop aufblickt, trifft ihr Blick auf den strengen, prüfenden Blick ihres großen Vorgängers.

Also ließ sie mit dem grenzenlosen Selbstvertrauen der Generation X das Porträt entfernen und den Raum in „Saal der Deutschen Einheit“ umbenennen.

Baerbock hat mit solchen Dingen überhaupt kein Problem, sie hat sogar das 500 Jahre alte Kreuz aus dem Saal des Rathauses in Münster entfernen lassen, um die Empfindlichkeiten der G7-Teilnehmer ja nicht zu verletzen.

Annalena Baerbock sollte sich nicht so sehr vor Bismarck fürchten, denn der Eiserne Kanzler war selbst einmal jung. Er mochte Frauen, er mochte gute Gesellschaft, er trank gerne. In seinem Alter war er ein wahrhaft rebellischer junger Mann. Er studierte drei Semester Rechtswissenschaften an der Universität Göttingen und war häufiger Besucher des Karzers, des Universitätsgefängnisses, in dem widerspenstige Studenten zeitweise eingesperrt wurden. Heute ist dieser Karzer dank Bismarck eine der meistbesuchten Gedenkstätten der Stadt, und sein fröhliches Gesicht in seiner damaligen Studentenmütze ist auf den weiß getünchten Wänden des Studentengefängnisses verewigt gut zu erkennen.

Nach dem kollektiven Gedächtnis der Einheimischen wettete der junge Bismarck einmal, nach einer durchzechten Nacht mit seinen Kommolitonen, nackt durch die Stadt zu reiten. Hat er auch getan. Danach konnte er nicht mehr mit einer einfachen Festnahme davonkommen und wurde aus der Stadt verbannt. Dann mietete er sich ein Haus außerhalb der Stadtmauer, das heute das Bismarck-Gedenkmuseum beherbergt. Göttingen war schon immer sehr stolz auf seinen berühmtesten Studenten, dem zu Ehren zwei Aussichtstürme errichtet wurden. Wie werden die Einheimischen reagieren, wenn die Anti-Bismarck-Kultur in der Stadt wieder auftaucht?

Denn in Deutschland ist was los, jeder Deutsche guten Gewissens protestiert gegen die Absetzung Bismarcks. Schließlich ist Bismarck für sie das, was István Széchenyi („Der größte Ungar“) für uns ist. Obwohl, wenn ich mich recht erinnere, wollten die Österreicher und die Kommunisten auch den größten Ungarn ausradieren.

Wie die Roten damals, so ignorieren auch die Grünen heute die Geschichte und bekämpfen alles, was nicht in ihr eigenes Weltbild passt. Oder, wie es die Familie Bismarck ausdrückte: Sie haben kein deutsches Geschichtsbewusstsein.

Der Aufschrei hat viel ans Licht gebracht. Ein Beispiel dafür ist der Plan des – wegen einer Reihe von Wahlbetrügereien derzeit illegitimen – Berliner Senats zur Umbenennung zahlreicher Straßen. Hunderte von Straßen sollen umbenannt werden, entweder weil der Namensgeber in irgendeiner Weise mit dem deutschen Imperialismus oder dem Nationalsozialismus verbunden ist oder weil er nicht dem Geist der Woke-Ideologie entspricht. In jüngster Zeit haben auch Straßennamen, die nach großen Russen benannt sind, die Aufmerksamkeit progressiver Menschen erregt, die sich um die ukrainische Freiheit sorgen.

Déjà-vu. Wir hier im Karpatenbecken haben Vergleichbares erlebt.

Es gab wohlklingende Slogans, Statuen wurden entfernt, Straßen und Einrichtungen umbenannt, Taufen durch Namensgebungszeremonien, Weihnachten durch Tannenbaumfeiern ersetzt. Es kam zu identitätsbedingter Stigmatisierung, Enteignung und Vertreibung. Zur ideologischen Vergewaltigung eines Volkes und zum Versuch, seine Kultur zu zerstören. Damals war die Ideologie noch in Rot gehüllt, jetzt ist sie in Grün verpackt.

Autorin, Dr. phil Irén Rab ist Kulturhistorikerin

Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20221231-a-vaskancellar-es-a-nemet-emlekezetpolitika

2 Kommentare

  1. Allen ein gesundes neues Jahr. BUÉK!
    Diese Umbenneungsaktionen, diese Verbote und die sich anmaßende Umerziehung der Menschen geht mir gehörig auf die Ketten. Im Osten Deutschlands hatten wir das schon mal …
    Mit dieser Regierung, ihren Helfern und Drahtziehern „im Hintergrund“, oder soll ich besser (wahrheitsgemäßer!) „im Ausland“ sagen … schafft sich Deutschland ab. Im Kurort Rathen, Sächsische Schweiz, hing im Wahlkapf 2021, auf einem Privatgelände, ein Plakat:
    „1933 – Wer Hitler wählt, wählt den Krieg
    2021 – Wer Grün wählt, wählt den Untergang“
    Leider war es visionär …

  2. Da ich in den 60er Jahren an zwei bayerischen Gymnasien ordentlichen Geschichtsunterricht erfahren durfte und mein Großvater bis zuletzt bayerischer Monarchist war, ist mein Blick auf Bismarck zunächst skeptisch. So meine ich Immer noch, daß die europäische Geschichte weniger katastrophal verlaufen wäre, wenn der Deutsche Bund, gegen den Bismarck 1866 den Krieg vom Zaun brach, Bestand gehabt hätte. Dann gäbe es wohl heute noch das Königreich Bayern, das Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha etc., und die deutschen Teile von Österreich wären, unbeschadet ihrer völkerrechtlichen Eigenstaatlichkeit, nach wie vor selbstverständlicher Bestandteil der einen Kulturnation von Mozart, Beethoven, Wagner und Bruckner, von Walter von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Goethe, Schiller, Grillparzer und v. Hofmannsthal, von Kepler und Leibniz, von Kant und Wittgenstein und vielen, vielen anderen, deren Angedenken heute ignoriert oder z.T. verteufelt wird.

    Gut verstehen kann ich es aber, wenn die Autorin als Ungarin gleichwohl voller Sympathie auf Bismarck blickt, da der Ausgleich von 1867 ja ohne die Niederlage Österreichs bei Königgrätz kaum zustandegekommen wäre. Ob diese punktuell höchst begrüßenswerte Entwicklung von Bismarck mitintendiert war, sei freilich dahingestellt.

    Zu seinen Großleistungen rechne auch ich vollem Einklang mit dem Artikel die Einführung der gegliederten Sozialversicherung im kleindeutschen Kaiserreich. Bis heute sichert sie den sozialen Frieden, und genau das war beabsichtigt. Und zu Bismarcks Ehrenrettung kann auch unter Bezug auf einen jüngst erschienenen Artikel in der konservativen Wochenzeitung Junge Freiheit nachgetragen werden, daß er den kolonialen Bestrebungen seines Chefs nur widerstrebend folgte. Er meinte wohl (was Historiker später bestätigten), daß sich derartige Unternehmungen unter dem Strich negativ auf den Staatshaushalt auswirken würden.

    Aber all das Positive wollen die antideutschen, von differenzierteren Geschichtskenntnissen vollkommen unbeleckten Damen und Herren des politisch-medialen Komplexes, der mein geplagtes Vaterland schon seit einigen Jahren beherrscht, nicht wissen. Die heutige Kulturstaatsministerin Claudia Roth von den Grünen lief noch vor ein paar Jahren in Dresden einem Demonstrationszug vorweg, der Transparente mit Slogans wie „Deutschland, du mieses Stück Scheiße“, „Deutschland, verrecke!“ oder „Nie wieder Deutschland“ mitführte; Frau Faeser macht ein Gesetz nach dem anderen zum Austausch der Bevölkerung mit Auswirkungen, die potenzieren werden, was schon jetzt zum Jahreswechsel besonders in Berlin und Frankfurt/Main besonders augenfällig, war; Herr Habeck tut alles, um die mittelständische Industrie zu vernichten und die Großindustrie in die USA zu vertreiben; Frau Baerbock will die Ukraine aufrüsten „no matter my German voters think“; Frau Kriegsministerin Lambrecht macht sich und mit ihr die ganze Republik in aller Öffentlichkeit zum Silvesterscherz: Wer solche Repräsentanten und Regenten hat, braucht keine Feinde mehr.

    Und das Übel rührt zentral von der barbarischen Geschichtsvergessenheit der Herrscherclique her sowie derer, die sie gewählt haben, weil sie ein völlig heruntergewirtschaftetes, kulturmarxistisch durchseuchtes Bildungssystem durchlaufen haben. Das ist auch der Tenor dieses sehr gut gelungenen Artikels, und da stimme ich als Patriot der Kulturnation mit ganzem Herzen voller Trauer zu.

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