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Das höchste Ziel ist der Sturz von Viktor Orbán und seiner Fidesz Partei

16. Mai 2025 Achgut.com von Krisztina Koenen

Ungarns Regierungschef Orbán ist der EU-Spitze ein Dorn im Auge. Im nächsten Jahr wird in Ungarn gewählt. Zufällig oder nicht tauchen die wildesten Verschwörungs-Vorwürfe auf, etwa die Behauptung, dass Ungarn einen Teil der Ukraine annektieren möchte. Deutsche Medien sind ganz heiß auf solche Meldungen.

Am 5. Mai (aktualisiert am 7.5.) veröffentlichte das Nachrichtenportal t-online einen Artikel mit dem Titel „AfD-Verbündete wollen in Ukraine einmarschieren“. Wer sich die Mühe nahm, den von dem Correctiv-Mitarbeiter Jonas Mueller-Töwe verfassten Text zu lesen, konnte erfahren, dass Anfang März in Belgrad eine Konferenz jener Länder stattgefunden habe, deren nationale Minderheiten in der Ukraine leben. Vertreter Griechenlands, Bulgariens, Serbiens, Polens und Rumäniens sowie ein Vertreter der rechtskonservativen ungarischen Partei „Mi Hazánk“ (Unsere Heimat) diskutierten über Forderungen nach Selbstbestimmung und Autonomie ihrer zum Teil brutal unterdrückten nationalen Minderheiten.

An der Beratung nahm auch der AfD-Politiker Maximilian Krah teil. Die Behauptung des Autors:

Die Teilnehmer, die allesamt im Dienste Russlands stünden, hätten Pläne über die Aufteilung der Ukraine geschmiedet, die nach einem russischen Sieg erfolgen sollte.

Beweise dafür hatte er keine, bediente aber wie selbstverständlich die Erzählung, Ungarn verfolge seit langem den Plan, das unter anderen von Ungarn bewohnte Transkarpatien zu annektieren. Dass Mi Hazánk eine kleine Oppositionspartei ist, die gewiss keine Chance hat, politische Entscheidungen in Ungarn zu beeinflussen, erwähnte der Autor nicht.

Das Interessanteste am Artikel ist deshalb auch nicht der wirre Inhalt voller unbelegter Anschuldigungen, sondern der Tag der Veröffentlichung: Während die Konferenz Anfang März stattgefunden hatte, wartete man mit der Veröffentlichung zwei Monate lang. Wer an Zufällen in der Politik glauben mag, kann es als Zufall werten, dass am gleichen Tag auch in Ungarn etwas geschah: Da trat Péter Magyar, der von der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament bereits jetzt zum nächsten ungarischen Ministerpräsidenten ausgerufene ungarische Oppositionsführer, mit einer nach seiner Meinung erschütternden Enthüllung an die Öffentlichkeit.

Das „skandalöse“ Dokument

Der Wind habe „ein Dokument durch sein Fenster geweht“, erklärte er, ein Dokument, das nichts weniger als das Ende des Orbán-Regimes einläuten würde. Verteidigungsminister Kristóf Szalay-Bobrovnicky habe in einer Rede bereits 2023 verkündet, so Magyar, dass die ungarische Armee kriegstauglich werden müsse. Angeblich war nichts weniger als eine Kriegserklärung dem Tondokument zu entnehmen. Was jedoch nicht drin stand, war, gegen wen sich der von Ungarn geplante Krieg richten würde. Das auszusprechen, war aber gar nicht nötig, denn es lag auf der Hand: gegen die Ukraine.

Am Donnerstag, dem 8. Mai, veröffentlichte Magyar schließlich das „skandalöse“ Dokument, das hier wörtlich dokumentiert werden soll.

Der Verteidigungsminister sagte: „Die fünfte Orbán-Regierung hat beschlossen, eine tatsächlich schlagkräftige ungarische Streitmacht aufzubauen. Das bedeutet den Bruch mit unseren bisherigen Friedensaktivitäten. Die sind uns wohlbekannt, aber wir werden in Folge eines bestimmten Vorgangs die Friedensmentalität beenden müssen. Es ist logisch, dass die in der Öffentlichkeit als Verjüngung bekannte Prozess der einfachste Weg ist, dies zu verwirklichen. Wir müssen Schluss machen mit der Friedensmentalität und die Phase Null auf dem Weg zum Krieg beginnen. Ich beauftrage mit der Durchführung Generalleutnant Dr. Gábor Böröndi. Es ist mir eine Ehre, dass er bereit war, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich rechne damit, dass er die ihm übertragene Aufgabe restlos erfüllen wird.“

Die Aufnahme stammt vom Mai 2023, als an der Nordostgrenze Ungarns schon seit mehr als einem Jahr Krieg tobte. Was der Verteidigungsminister hier sagt, unterscheidet sich bestenfalls in der Wortwahl von entsprechenden Erklärungen anderer EU-Staaten. Man denke nur auf Äußerungen der FDP-EU-Abgeordneten Strack-Zimmermann.

Auf der ersten Stabssitzung des frisch ernannten Gábor Böröndi hatte man nicht damit gerechnet, dass sensible Informationen ausgetauscht würden, und deshalb gab es keine besonderen Sicherheitsmaßnahmen, es konnten zum Beispiel ohne Kontrolle Mobiltelefone mitgenommen werden. Inzwischen ist die Quelle der Tonaufnahme bekannt. Es handelt sich um einen Anhänger von Böröndis entlassenem Vorgänger, Rumulusz Ruszin-Szendi, der mittlerweile zu den bekanntesten und lautesten Unterstützern von Péter Magyar und ebenso der ukrainischen Führung gehört. 

In Ungarn wird im kommenden Frühjahr gewählt, aber jetzt schon herrscht eine extrem angespannte politische Atmosphäre. Das Auftauchen des bis vor einem guten Jahr so gut wie unbekannten Péter Magyar als Anführer aller, die als

verfolgen, ist selbst das Ergebnis einer geschickt eingeflochtenen Intrige.

Magyar hat die ohnehin von starker Emotionalität durchtränkte ungarische politische Auseinandersetzung noch einmal angeheizt. Die Spaltung in feindliche Lager hat auch die Kirchen und staatliche Institutionen erreicht und ihnen jetzt schon großen Schaden zugefügt.

Seit seinem kometenhaften Aufstieg gehört

Péter Magyar, Abkömmling eines kommunistischen Juristenclans und enttäuschtes ehemaliges Mitglied von Fidesz, zu den treuesten Zöglingen des EVP-Vorsitzenden Manfred Weber.

Weber und die allermeisten Mitglieder der EVP sind glühende Anhänger Selenskis und Unterstützer der Fortsetzung des Krieges bis zur Vernichtung Russlands. Dies jedoch brachte ihren ungarischen Verbündeten Magyar schon einige Male in Schwierigkeiten, denn die Friedenspolitik Orbáns ist selbst unter dessen Gegnern populär. Seitdem er vor einem Jahr ein EU-Parlamentsmandat gewonnen hatte, versucht Magyar eine Gratwanderung zwischen der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine in Brüssel und eher zurückhaltenden Äußerungen zum Thema in Budapest. Im Zeitalter der globalen Informationsströme eine wahrhaft schwierige Aufgabe.

Der nächste Zufall

Im Gegensatz zu ihm führt Viktor Orbán zur Zeit einen Feldzug gegen die verkürzte EU-Aufnahmeprozedur der Ukraine, wahrscheinlich zu Recht. Denn die wirtschaftlichen Nachteile gerade für die immer noch weniger entwickelten Osteuropäer in der EU wären katastrophal. Um für seine Position in der Bevölkerung zu werben, ließ er eine Art Volksbefragung über die EU-Mitgliedschaft der Ukraine durchführen. Die Ergebnisse sind noch nicht bekannt, aber eine Mehrheit für die Ablehnung ist sehr wahrscheinlich.

Für Magyar wurde es immer schwieriger, seine in der EU eingenommene proukrainische Position zu Hause zu verschleiern, den Angriffen der Orbán-Partei hatte er nichts entgegenzusetzen. In dieser Situation kam ihm die „ausgesickerte“ Rede des Verteidigungsministers rettend zu Hilfe.

Denn sollte Ungarn tatsächlich planen, die Ukraine militärisch anzugreifen, dann wären all die Friedensbemühungen Orbáns und seine Ablehnung der ukrainischen EU-Mitgliedschaft nur Kulissen,

um seine wahren Ziele, nämlich die Annexion Transkarpatiens, zu verbergen; und natürlich wäre es dann die Aufgabe eines jeden Friedensfreundes, das Zielland der vermeintlichen Aggression zu unterstützen.

Die von Magyar erhoffte Aufregung allerdings blieb wegen der in der Rede enthaltenen Selbstverständlichkeiten weitgehend aus. Doch schon passierte der nächste Zufall, der berufen war, das Thema der angeblich geplanten ungarischen Annexion fortzuführen:

Am 10. Mai verkündete der ukrainische Geheimdienst SBU, dass er einen „ungarischen Spionagering“ im Vorkarpatenland ausgehoben habe.

Beim jetzigen Stand der Nachrichten bestand der „Ring“ aus einem ungarischen Ehepaar, das unter dem Verdacht der Spionage verhaftet wurde. Nach ukrainischer Darstellung war die Aufgabe der Ungarn, die Luftabwehr und den Schwarzmarkt für Waffen zu beobachten, Informationen über die politische Einstellung der Bevölkerung zu sammeln und diese über Mobiltelefone und auch persönlich an ihre ungarischen Führungsoffiziere zu übermitteln. Stimmte das alles, so wäre das wahrscheinlich einer der dilettantischsten Spionageringe aller Zeiten.

Orbán hat „großungarische Phantasien“ nie geäußert

Es dauerte nur drei Tage, und in deutschen Medien – jetzt mit frisch gewonnenen neuen Argumenten – tauchte erneut die Behauptung von den ungarischen Annexionsplänen auf. Der aus linken österreichischen Medien bekannte Aktivist Stefan Schocher schrieb am 13. Mai in Springers Die Welt, dass hinter den Spionen der ungarische Militärgeheimdienst „mit konkreten Plänen für eine Invasion in der Ukraine“ stecken würde. Beweise gibt es – wie immer – keine. Er stützt sich vor allem darauf, dass Orbán immer wieder „großungarische Phantasien“ geäußert habe. Ein Beispiel dafür gibt es nicht, denn Orbán hat solche „Phantasien“ nie geäußert und gilt auch nicht als Freund von ihnen.

Inzwischen ist die Auseinandersetzung genau dort gelandet, wo sie in Wirklichkeit auch stattfindet, nämlich zwischen der ungarischen politischen Führung und dem Geheimdienst der Ukraine, dem mehr Journalisten und politische Aktivisten in Ungarn aber auch in Deutschland zu dienen scheinen, als man zunächst glauben würde.

Vor dem eilig zusammengerufenen ungarischen Verteidigungsausschuss fasste Orbán die bisherigen Kenntnisse der Regierung zusammen. Er sprach von einer beispiellosen konzertierten Aktion des ukrainischen Geheimdienstes gegen Ungarn, dessen

Ziel gewesen sei, den ungarischen Widerstand (und das Veto) gegen die ukrainische EU-Mitgliedschaft zu brechen.

Der ukrainische Geheimdienst habe mit Hilfe einer ungarischen politischen Partei einen Angriff auf die ungarischen Verteidigungskräfte ausgeführt. „Dass eine ungarische Oppositionspartei eine aktive Rolle in einer ukrainischen Geheimdienstaktion spielt, ist beispiellos in der ungarischen Geschichte“, sagte Orbán.

Dem möchte man noch hinzufügen: Dass deutsche Medien in den Verdacht geraten könnten, als Handlanger eines fremden Geheimdienstes aktiv zu werden, war bisher auch schwer vorstellbar. Jetzt offensichtlich nicht mehr.

Autorin, Krisztina Koenen war Redakteurin des FAZ-Magazins und der Wirtschaftswoche. Danach wechselte sie in die Unternehmenskommunikation. Sie ist Autorin mehrerer Bücher.

Erste Erscheinung: https://www.achgut.com/artikel/orban_soll_weg

MAGYARUL:

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