17. Juli 2023 Hiradó.hu von Udvardy Zoltán
Vor 78 Jahren, in der Nacht von 18./19. Juni 1945 wurden 267 ungarische und deutsche Bürger aus Oberungarn, darunter 75 Kinder, bei der mährischen Stadt Prerov ermordet. Ihre „Schuld“ war, dass sie Ungarn bzw. Deutsche waren. Diese Geschichte erhielt in unseren Tagen ein merkwürdiges Echo, als in Bratislava (Pressburg, Pozsony) der Satz gefallen war: „Es wäre nicht in Ordnung, dass die Slowakei einen ungarisch-stämmigen Ministerpräsidenten erhält.“ (Ludovit Odor, Ministerpräsident einer Übergangsregierung aus Technokraten)
„Man erschoss sie aus einer Entfernung von einem Meter durch einen Genickschuss, so stürzten die Opfer in die ausgehobenen Gräber. Die Frauen wurden mit ihren, am Arm gehaltenen kleinen Kindern zusammen erschossen.“ – So ruft der tschechische Geschichtsforscher und Museologe Frantisek Hybl in Erinnerung
die Hinrichtung der 267 ungarischen und deutschen Zivilisten. Sie wurden nach dem Schweigen der Waffen im zweiten Weltkrieg, in Friedenszeiten also, durch die Soldaten des 17. tschechischen Infanterieregimentes ermordet.
Der Massenmord an den deutschen und ungarischen Bürgern war Teil einer auf das ganze Territorium der erneut konstituierten Tschechoslowakei ausgedehnten, bewaffneten Aktion. Sie wurde bereits im Jahr 1943 durch den tschechischen Politiker Eduard Benes in Moskau vorbereitet. Benes war bis zum Münchener Abkommen im Jahr 1938 Ministerpräsident der Tschechoslowakei, und ab diesem Jahr wurde er ein Geheimagent des sowjetischen Geheimdienstes. Er verhandelte 1945 in Moskau mit Wjatscheslaw Molotow, dem Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare und überreichte ihm Memoranden über die geplante Deportation der Deutschen und der Ungarn. Sie bereiteten sich auf einen Bürgerkrieg vor, auf einen „Partisanenkrieg gegen die Deutschen“. Dazu erbat Benes die Hilfe der Sowjetunion.
Massenhafte Lynchjustiz
Seiner Worte folgten Taten: seit Mai 1945 begann auf den tschechischen Territorien der erneut entstandenen Tschechoslowakei mit unwahrscheinlich brutalen Methoden die Vertreibung der deutschen Zivilbevölkerung, die sowohl in Prag, als auch an zahlreichen anderen Orten
durch die massenhafte Massakrierung und durch das Lynchen der deutschen Zivilisten auf offener Straße begleitet wurde.
Den Begriff des „Völkermordes“ ausschöpfende Geschehnisse wurden mit den Waffen und der Munition aus der Sowjetunion durchgeführt.
In Oberungarn, in der heutigen Slowakei, fanden in kleineren und größeren Ortschaften unzählige Morde an der deutschen und ungarischen Bevölkerung statt: auf dem Gebiet der Slowakei gibt es 217 bis heute nicht aufgedeckte Massengräber, die die aggressive, deklariert minderheitenfeindliche Haltung der zurückkehrenden und sich erneut einrichtenden, tschechoslowakischen Staatsmacht zeigen. Diese Hinrichtungen fanden meist nicht auf offener Straße (und ohne Einbeziehung der ortsansässigen Bevölkerung) statt, sondern sie wurden in der Nähe der Ortschaften durchgeführt.
Die auf dem Gebiet der heutigen Slowakei lebenden Deutschen und Ungarn wurden praktisch ihrer Rechte vollständig beraubt: den Unterricht in ihrer Muttersprache hatte man ab September 1945 für mehrere Jahre eingestellt, lange Zeit wurde ihnen das Wahlrecht entzogen. Sie durften ihre Muttersprache nicht benutzen, die Benutzung der deutschen und ungarischen Sprache auf der Straße zog schwere Atrozitäten, Misshandlungen nach sich.
Die Grundlage für die Entziehung ihrer bürgerlichen Rechte bildete unter anderen die bis heute geltenden, berüchtigten „sog. Benes Dekrete“.
All das war jedoch nur die Vorbereitung für die massenhafte Vertreibung der ungarischen Bevölkerung, die im Jahr 1947 erfolgte. Im Rahmen dieser brutalen, zynisch als Bevölkerungsaustausch bezeichneten Vertreibung, die dem ungarischen Staat aufoktroyiert wurde, zwang man 76 Tausend Ungarn zum Verlassen ihrer Heimat.
Die Schwedenschanzen neben Lovesice
Der Sturm der Geschichte zwang 1944 viele der autochthonen ungarisch- und deutschsprechenden Einwohner von Oberungarn zum massenhaften Verlassen ihrer Gemeinden. Mit dem Herannahen der Front wurde die Evakuierung der Bevölkerung in den östlichen Teilen von Oberungarn, in dem 1939 gegründeten Marionettenstaat Slowakei von Tiso (Staatschef von Hitlers Gnaden) angeordnet. Die Einwohner wollten mehrheitlich ihre Heimat nicht verlassen, trotzdem wurden mehrere Hundert deutsche und ungarische Zivilisten ausgesiedelt.
Die aus dieser Gegend losziehenden Transporte bestanden meist aus ganzen Familien, die ihre ganze bewegliche Habe mit sich führten. Sie waren hauptsächlich aus der Dobsina/Dobschau, aber man ließ auch eine größere Gruppe aus Késmárk/Käsemarkt mit ihnen ziehen. Der so zusammengestellte, auf Pferdewägen befohlene Zug fuhr über Pressburg (Pozsony/Bratislava) in die nördliche Zone von Tschechien. Man bestimmte einige, im Jahr 1938 Deutschland angegliederte Ortschaften in Schlesien zu ihrem Aufenthaltsort. (So eine Stadt war z.B. Georgswalde, heute an der tschechisch-deutschen Grenze gelegene Jirikov.)
Etwa anderthalb Monate nach Beendigung des zweiten Weltkrieges erhielt ein Konvoi, der aus 267 Personen bestand – hauptsächlich Deutsche und Ungarn aus Dobsina, sowie Deutsche aus Késmárk – die Erlaubnis, die verbliebene Habe auf einen Zug aufzuladen und endlich zurück in die Heimat zu fahren. Dieser Zug wurde in der Mitte von Mähren, bei der Stadt Prerov, von einer Militäreinheit, nämlich von dem 17. Infanterieregiment des 4. tschechoslowakischen Heeres, gestoppt.
Der Oberst Karol Pazur begann mit seinen Soldaten die ungarischen und deutschen Passagiere des Zuges zu terrorisieren, sie beschimpften sie als „Faschisten“, und der Kommandeur befahl den Zug umzuleiten, nämlich zu der außerhalb der Stadt liegende Bahnstation der Ortschaft Lovesice. Hier kamen die nach Hause fahrenden, ungarischen und deutschen Familien unter der strengen Aufsicht von einer ausgewählten Abteilung des 17. Infanterieregimentes auch an.
Pazur ließ dort die Passagiere des Zuges aussteigen, alle 267 Personen, sie wurden zunächst zu der in der Nähe liegenden, kleinen Ortschaft geleitet, wandten sich aber einer verlassenen, hügeligen Hochebene mit dem Namen Schwedenschanzen neben Lovesice zu und ließen ihre Gefangenen dorthin marschieren. Unter diesen Personen gab es 75 Kinder mit vielen, teils noch nicht gehfähigen Kleinkindern an den Armen ihrer Mütter.
Auf der Hochebene ließ Pazur durch die Männer aus Lovesice einen großen und langen Graben ausheben. Die Männer wurden mit Hinrichtung bedroht, wenn sie diese Arbeit nicht ausführten.
In diesen 17 Meter langen, 2 Meter breiten und 2 Meter tiefen Graben fielen in der Nacht von 18./19. Juni 1945 alle 267 Männer, Frauen, Kinder getötet durch Schüsse der Soldaten hinein.
Nach Aussage von Augenzeugen bewegte sich die nur 30 Zentimeter dicke Erdschicht, die über die Opfer geschüttet wurde, noch drei Tage lang, da nicht jeder durch die Schüsse sofort umgekommen war. Die Opfer wurden von den Soldaten nicht nur ermordet, sondern auch noch ausgeraubt.
Held des Widerstandes gegen die Nazis
Karol Pazur erschoss persönlich mit seiner Pistole mehrere Kleinkinder. Die sowjetischen Behörden nahmen ihn nach diesem Massaker formal in Gewahrsam, er kam nach der Überprüfung seiner Tat für eine kurze Zeit auch ins Gefängnis. Nach der Machtübernahme durch die Kommunisten im Jahr 1948 wurde er in die Freiheit entlassen und später sogar befördert. Auf Pazur warteten während seiner Laufbahn gut dotierte staatliche Stellen in der sozialistischen Tschechoslowakei, schließlich war er „ein Held der Widerstandsbewegung gegen die Nazis“, er erhielt auch eine Reihe Auszeichnungen.
Die Vergangenheit wurde im Krematorium ausgelöscht.
Die irdischen Überreste dieser 267 Menschen konnten nicht in Frieden ruhen. Da man 1947 von dem in der Tschechoslowakei begangenen Massenmord zu sprechen anfing, befand die staatliche Obrigkeit als angebracht, die Spuren zu beseitigen. Am 8. und 9. Oktober 1947 gruben die Leute des Staatssicherheitsdienstes und die Soldaten aus Terezin die Massengräber aus. Die Männer wurden im Friedhof von Prerov, in einem nicht gekennzeichneten Massengrab begraben. Die Überreste der Frauen und Kinder wurden auf Lastwägen geladen, ins Krematorium von Olmütz gebracht und verbrannt, damit die Beweise des Völkermordes endgültig zunichte gemacht werden.
Diesen schrecklichen Völkermord behandelte das im Jahr 1948 an die Macht gekommene, tschechoslowakische kommunistische Regime als Staatsgeheimnis. Zahlreiche Personen, die während dieser Diktatur hohe Posten errangen und mit der Sowjetmacht sehr enge Beziehungen pflegten, waren in der Angelegenheit involviert.
Ihre Karriere führte manche sogar bis zum Stuhl des Staatspräsidenten (Gustav Husak, Ludvik Sloboda) oder in die Führungsspitze des Warschauer Paktes (Eduard Kosmel).
Dem tschechischen Geschichtswissenschaftler Frantysek Hybl, einem früheren Mitarbeiter des Städtischen Museums in Prerov, verdanken wir, dass die Geschehnisse doch ans Tageslicht gekommen sind. Hybl kratzte buchstäblich mit unwahrscheinlicher Tapferkeit und Ausdauer aus dem Boden die gegenständlichen Beweise der Vergangenheit hervor, die fast ein halbes Jahrhundert lang als Staatsgeheimnis gehütet worden waren und deckte die Grabstätte der Opfer dieses verübten Völkermordes auf. Nach einer anstrengenden Forschungsarbeit über mehrere Jahrzehnte fand Hybl nicht nur das Massengrab im Friedhof von Prerov, in dem sich die Leichname der männlichen Opfer befanden, sondern er kam 2016 auch auf die Spur der Kisten, die die Asche der verbrannten ungarischen und deutschen Frauen und Kinder beinhalteten, nämlich im Friedhof von Olmütz.
Als noble Geste führte die Stadt Olmütz mit Unterstützung eines der Angehörigen der Opfer die erschütternde Familienzusammenführung durch: die Asche der Frauen und Kinder wurde im Friedhof Prerov neben dem Massengrab ihrer Männer und Väter zur ewigen Ruhe beigesetzt. Man errichtete sowohl in Prerov, als auch in Olmütz Gedenktafel in den Friedhöfen.
Am Grab in Prerov steht auch ein Mahnmal, man stellte einen reich geschmückten Grabstein auf, auf dem die Namen der Hingerichteten zu lesen sind. Es ist auch der Verdienst von Hybl, dass ein großes Kreuz an der Schwedenschanze, wo die Hinrichtungen stattfanden und das erste Massengrab befand, aufgerichtet wurde. Der Geschichtswissenschaftler betont oft, dass hier mehr Menschen umgebracht worden waren als in Lidice durch die Deutschen.
Die Gedenkstätte in Prerov wird seit Jahrzehnten von den Verwandten der Hingerichteten aus Deutschland besucht, aber
die Geschichte dieses Blutbades ist weder in Deutschland, noch in Ungarn oder in der Slowakei hinreichend bekannt.
Mindestens die Hälfte der massakrierten Familien, also etwa 150 Personen, hatte Ungarisch als Muttersprache, oder – obwohl sie sich als Deutsche bezeichneten – ihre Identität war durch die ungarische Sprache und Kultur geprägt. Dafür ist ein gutes Beispiel, dass das erste Gerichtsverfahren nach dem Zusammenbruch des historischen Ungarns und nach der tschechischen Okkupation 1919 wegen des Absingens der ungarischen Hymne in Dobsina erfolgte, der erste sog. „Prozess wegen der Hymne“ in Oberungarn (Slowakei).
Das ungarische nationale Gebet wurde von den einheimischen, „bulleener” genannten Mitgliedern der deutschen Gemeinde gesungen. („bulleener”= altdeutscher Dialekt in Dobsina/Oberungarn)
Autor, Zoltán Udvardy beschreibt in seinem Dokumentarbuch „Mit Salz bestreut“ (Magyar Napló, Budapest, 2022) detailliert die Geschichte und den Kontext des Völkermordes bei den Schwedenschanzen neben Lovesice und im Dorf Pozsonyliget.
Deutsche Übersetzung: Dr. Gábor Bayor