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Warum wurde Ungarn der Lieblingsprügelknabe des Westens?

22. November, 2020, LÁTÓSZÖG BLOG – von Frank Füredi

Seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie nahm die Desinformationskampagne gegen Ungarn die Gestalt eines echten Kreuzzuges an. Wenn man sich nur durch die westlichen Medien informiert, kann man kaum zu einem anderen Schluss kommen, als dass in Ungarn eine ähnliche Situation wie 1938 in Deutschland, sagen wir wenige Wochen vor der Kristallnacht, herrschen würde.

Die Abscheu gegen Ungarn hat die Seelen der Kommentatoren so durchdrungen, dass einige zu hoffen scheinen, dass der Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban infolge der Pandemie endlich ihre wohl verdiente Bestrafung zuteilwird.

Lange Zeit dachte ich, dass mich die auf Ungarn ständig herunterprasselnde übliche westliche Medienschelte nicht mehr erreicht und berührt, bis ich vor kurzem am 4. November einen Artikel im British Medical Journal (BMJ)entdeckte. BMJist eine der führenden medizinischen Fachzeitschriften der Welt, ihre Artikel werden normalerweise gründlichst und professionell geprüft, bevor sie veröffentlicht werden. Wenn man jedoch im Titel eines Artikels liest: „Covid-19 – Ungarns Reaktion auf die Pandemie könnte mehr Ärger verursacht haben als das Virus selbst“, ist klar, dass sich die Lektorenexperten des BMJ allesamt im Urlaub befinden müssen.

Unter dem Deckmantel einer fachlichen medizinischen Berichterstattung zeichnet das Schreiben ein Bild von Ungarn, als wäre es nicht nur eine Diktatur, sondern geradezu ein gescheiterter Staat. Der Autor setzt bereits auf der Sprachebene hoch trendige Propaganda-Tools ein. So heißt es beispielsweise, dass es in Ungarn eine „schädliche Einparteienregierung“ gebe. Der Begriff „Einpartei-“ ist erwähnenswert. Als Einparteiensysteme werden bekanntlich die autoritären Staaten bezeichnet. Nach der Encyclopaedia Britannica gibt es in der Geschichte drei Formen des Einparteiensystems: „Kommunistische, faschistische und Entwicklungsländer“. So muss der Leser des BMJzweifellos glauben, dass das ungarische politische System in die Kategorie fällt, welche man als Kommunismus oder Faschismus zu bezeichnen pflegt.

Wenn jemand die Redakteure dieser Zeitung etwas unter Druck setzte, würden sie wahrscheinlich damit argumentieren, dass sie über eine Einparteienregierung schrieben, nicht über ein Einparteiensystem. Es stellt sich jedoch immer noch die Frage, warum das ungarische Regierungssystem ein Einparteiensystem sein soll? Wird auch über Großbritannien im BMJ als von einer Einparteienregierung regiert gesprochen? In den Augen einiger Teile der westlichen Kulturelite werden stabile Regierungen offensichtlich nur dann als Einparteienregierung betrachtet, wenn sie zufällig in Ungarn tätig sind.

Wenn der Leser etwa nicht verstanden hätte, was der Begriff „Einparteienregierung“ bedeutete, teilt ihm das BMJhöflich mit, dass „in Ungarn praktisch Militärdiktatur herrscht“! Diese Ergebnisse werden von der Zeitung zitiert, von Ferenc Falus, einem ehemaligen führenden Amtsarzt, einem Kritiker der Regierung, der beklagte, dass während der Epidemie Militärpersonal in die Krankenhäuser versetzt worden seien, also sprach er nicht über das Regierungssystem. Es stimmt, es gibt im Text das einengende Adverb „praktisch“, und dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie die anti-ungarische Propaganda funktioniert. Was bedeutet „praktisch“? Bis zu einem gewissen Grad? Oder fast? Ist es so zu verstehen, dass es montags und mittwochs eine Militärdiktatur gibt, aber nicht an den anderen Arbeitstagen?

Tatsächlich ist es so, dass die ungarische Regierung, wie die britische oder die italienische, die Polizei und das Militär in einer außergewöhnlichen epidemiologischen Situation eingesetzt hat. Der Unterschied besteht darin, dass das BMJwahrscheinlich ein anderes Vokabular hat, wenn es um die Rolle der britischen Streitkräfte beim Bau von Nightingale-Krankenhäusern in London, sowie beispielsweise um Tests und andere Operationen im Zusammenhang mit Ausbrüchen geht. Hier ist ein Titel aus der Pflegezeitung Nursing Times: „Die Covid-19-Pandemie löste eine der größten militärischen Aktionen in der Geschichte aus.“ Sowohl in der Nursing Times als auch im BMJwürden wir vergeblich nach einer Feststellung suchen, wonach Großbritannien praktisch zu einer Militärdiktatur geworden sei…

So viel zum weltberühmten Lektorensystem von BMJ. Noch verblüffender, als die Verbreitung von Fake News ist jedoch die aus den obigen Zeilen herausschreiende Schadenfreude über die schwierige Situation Ungarns in dieser Phase der Pandemie. Im Schreiben werden die ohnehin schon ernsten Schwierigkeiten lustvoll verstärkt und Falus wird mit der Prognose zitiert, dass Ungarns „kollabierendes Gesundheitssystem mehr Opfer verursachen wird als die Pandemie selbst“. Es ist schwer, das Gefühl loszuwerden, dass der Autor einer solchen tendenziösen und voreingenommenen Einstellung nichts dagegen hätte, wenn genau das passieren würde, was er vorhersagt.

Allerdings ist das BMJimmer noch relativ zurückhaltend, verglichen mit der hysterischen anti-ungarischen Propaganda anderswo. „Viktor Orbans Machtkonzentration verstärkt die Angst, dass in der Europäischen Union eine Diktatur auftreten wird“, ruft der Titel eines The Times-Artikels. Und Ben Kell ruft im Telegraph aus: „Wenn die EU nicht in der Lage ist, Viktor Orban, den Diktator Ungarns, zu zähmen, wird sie von innen verrotten.“ Der Economist befürchtet, dass „Orban praktisch ein Diktator im Herzen Europas geworden ist“.

Warum wurde Ungarn das Ziel der„Wach“ (woke) Propaganda?

Der Propagandakrieg gegen Ungarn und die ungarische Regierung ist alles andere als durch die Angst um die Demokratie und die Sorge um das ungarische Gesundheitssystem motiviert. Die westliche Kulturelite sieht die Werte der ungarischen Regierung in einem größtmöglichen Gegensatz zu ihrer eigenen Weltanschauung. Das globalistische Weltbild, vertreten durch kulturelle Institutionen wie Hollywood, Netflix, die BBC und andere politische Persönlichkeiten und Körperschaften wie die Europäische Union, betrachtet die ungarischen Werte als rückständig, hochmutig und bedrohlich. Es ist besonders verwerflich, dass Ungarn der nationalen Souveränität und Unabhängigkeit große Bedeutung beimisst, dass es die historische Tradition sehr ernst nimmt und sich stolz verpflichtet, die Vergangenheit kulturell fortzusetzen. Die Regierung schätzt traditionelle Werte, von denen einige mit dem Christentum in Verbindung stehen, und versucht, Kinder auf eine Art und Weise zu sozialisieren, dass sie diese Werte ebenso annehmen.

Natürlich hat die Elite der Europäischen Union keine Lust zu dieser moralischen Einstellung, welche in Ungarn herrscht. Sie hält Tradition entweder für unbedeutend oder sogar verabscheuungswürdig. Ihr anti-traditionelles Dogma ist besonders feindselig gegenüber traditionellen Bräuchen oder Praktiken, die mit dem Familienleben, der Kindererziehung und den sexuellen Beziehungen zwischen den Menschen verbunden sind.

Die globalistische Kultur ist der Tradition gegenüber so misstrauisch, dass ihre Befürworter Mütter und Väter vor den elterlichen Erziehungspraktiken früherer Zeiten warnen. Stattdessen empfehlen sie Vätern und Müttern, sogenannten mit Fachliteratur vertrauten Kindererziehungsexperten als Ratgeber zu folgen. Westliche Gesellschaften führen eine Art Kreuzzug gegen die Vergangenheit, mit dem Wunsch, Kinder anders zu sozialisieren, als bisher. Die Ratschläge und Ansichten der Großeltern werden oft mit einem herablassenden Wink behandelt und es wird davor gewarnt, dass sie der Entwicklung des Kindes schaden könnten. Als Ergebnis der Institutionalisierung dieser Beziehungen knüpfen Kinder keine Kontakte zu den Werten ihrer Eltern, ganz zu schweigen von den Werten früherer Generationen.

In jüngster Zeit hat der Kreuzzug gegen Ungarn das Kreuzfeuer auf die Kultur der sogenannten Heteronormativitätgelenkt. Im „woke“ Wörterbuch steht Heteronormativitätim gleichen Verhältnis zum Geschlecht wie Fremdenfeindlichkeit zum Nationalstolz. Genauso wie eine Person als fremdenfeindlich gilt, welche stolz auf Ihre eigene Nation ist, ist es eine kulturelle Sünde, den heterosexuellen Kontakt als Norm zu betrachten.

Tatsächlich sind die ungarische Regierung und die ungarische Öffentlichkeit nicht allein mit ihrer Ansicht, dass Heterosexualität in der Tat die Norm sei. Darüber hinaus sind sie nicht die Einzigen, die sich weiterhin zum jahrhundertealten Glauben bekennen, dass es insgesamt zwei Geschlechter gibt: der Mensch ist entweder Mann oder Frau. Im Gegensatz zu westlichen Transkultur-Werbetreibenden akzeptieren sie nicht die Behauptung, dass das Geschlecht etwas Subjektives sein soll. Sie betrachten die Menschheit als binär und unterscheiden zwischen den beiden Geschlechtern nach dem Vorhandensein der Chromosomen XX und XY. Diese Ansicht wird von den Wortführern der westlichen Identitätspolitik nicht nur als altmodisch, sondern auch als transphob eingestuft.

Hätte die ungarische Regierung ihre Ansichten über Chromosomen und Geschlecht diskret und diplomatisch gepflegt, hätte sie nicht den Zorn westlicher Identitätsunternehmer provoziert. Schließlich stimmen ihre Ansichten mit den Meinungen vieler Menschen auf der ganzen Welt überein. Das Problem mit den Ungarn ist, dass sie ihre Werte nicht für sich behalten, sondern sie so ernst nehmen, dass sie sie zu einem Teil ihres öffentlichen Ansehens und Programms machen.

Zuletzt hat die ungarische Regierung dem Parlament einen Antrag auf Verfassungsänderung vorgelegt, der besagt, dass die Mutter im System der familiären Beziehungen eine Frau und der Vater ein Mann ist. Wäre dieser Antrag vor 30 Jahren eingebracht worden, wäre ihm kein internationaler Aufruhr gefolgt. Tatsächlich hätten die meisten Kommentatoren sich gefragt, warum es nötig sei, die offensichtlichen Fakten in einer Verfassung festzuhalten. Das wäre es gewesen. Damals. Heute jedoch ist das, was seit Jahrhunderten selbstverständlich war, in den Augen der EU-Oligarchie empörend und wird dementsprechend verteufelt.

Gleichzeitig schützt der Verfassungsänderungsantrag das Recht von Kindern, sich mit ihrem Geschlecht bei der Geburt zu identifizieren, und verlangt, dass nur heterosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen. In einigen Fällen können alleinstehende Personen davon ausgenommen werden. Der Hauptzweck des Gesetzes besteht darin, die vorherrschenden Ansichten über heterosexuelle Normen zu kodifizieren und zu erklären, dass der biologische Unterschied zwischen Mann und Frau für menschliche Beziehungen von grundlegender Bedeutung ist.

Einige westliche Kommentatoren behaupten, dass die Regierung Homosexuelle angreife, wenn sie das Adoptionsrecht auf heterosexuelle Paare einschränke. Natürlich haben sie das Recht, diesen Schritt entsprechend ihrer Weltanschauung zu interpretieren, aber dennoch war der Antrag auf verfassungsrechtliche Änderung nicht von schwulenfeindlichen Gefühlen motiviert. Das Recht homosexueller Paare auf Zusammenleben ist gesetzlich garantiert, und in Ungarn blüht das Leben der Homosexuellen-Gemeinschaft. Der Vorschlag beruht auf der Absicht – wie es auch aus dem Text hervorgeht –, „die Ehe als Allianz zwischen Mann und Frau für das Überleben der Familie als Grundlage der Nation“ zu schützen.

Sowohl der Antrag der ungarischen Regierung auf eine Verfassungsänderung als auch darüber, wie die Rechte von Kindern am besten geschützt werden können, kann Gegenstand legitimer Debatten sein. Westliche Medien haben sich jedoch einfach auf sie gestürzt, indem sie sagten, dass das mit einem Angriff auf Homosexuelle zu tun haben soll. Die Europäische Kommission schloss sich dem an, als sie erklärte, sie werde eine LGBTIQ-Strategie entwickeln, die einige in der Presse sofort so kommentierten, dass Brüssel mit Ungarn in Konfrontation geriet. Im Rahmen der Strategie wird die Kommission eine Richtlinie ausarbeiten, „um die Rechte von Regenbogenfamilien so zu schützen, dass ihr Elternstatus und ihre gleichgeschlechtliche Partnerschaft Europaweit anerkannt werden“. Demnach könnte ein bürokratisches Diktat der Europäischen Union Entscheidungen über das Familienleben überschreiben, die das gewählte ungarische Parlament verabschiedet. Die Demokratie bedeutet in Brüssel augenscheinlich etwas ganz anderes, als sie es für Generationen von Freiheitskämpfern in den letzten Jahrzehnten bedeutet hat.

Seit der Jahrtausendwende hat die Europäische Kommission beträchtliche Mittel aufgewendet, um die politische Kultur osteuropäischer Gesellschaften wie Ungarn, mit ihrem antitraditionellen Ethos in Einklang zu bringen. Eine Reihe von Studien haben gezeigt, dass das ein Trend ist, der als höchst neokolonialistisches Unterfangen eingestuft werden kann, das darin das Ziel sieht, den Mitgliedstaaten Osteuropas die Werte der Europäischen Union aufzuzwingen. Laut Ian Klinke haben diese Studien „den neokolonialistischen Geist hervorgehoben, der für die Osterweiterung nicht greifbar ist, insbesondere im Hinblick auf ideologisch gefärbte Ziele wie die „Europäisierung“ und die „Liberalisierung“ eines Raums, der als wirtschaftlich und politisch rückständig gelte.

Diejenigen, die den Ehrgeiz der Europäischen Union, den neuen Mitgliedstaaten ihre Werte aufzuzwingen, radikal kritisieren, wenden auf dieses Phänomen oft den Begriff „normativer Imperialismus“ an, auch wenn es zutreffender wäre, es als kulturelle Dominanz zu bezeichnen (Julian Pänke). In dieser Hinsicht ist die vorgeschlagene LGBTIQ-Strategie paradigmatisch. Es ist ein integraler Bestandteil des neokolonialistischen Projekts, das bereits auch seine eigene Ansichten zur Familie europaweit verbindlich machen will.

Es wäre jedoch ein Fehler, die Tendenz der Europäischen Union, den Mitgliedstaaten und insbesondere den osteuropäischen Ländern ihre Standards aufzuerlegen, als eine kulturelle Vorherrschaft eines starken Selbstbewusstseins zu betrachten. Tatsächlich befindet sich die EU-Oligarchie in Bezug auf ihr normatives Machtpotenzial in der Defensive. Sie ist sich bewusst, dass sie mit einem unaufhörlichen Legitimitätsdefizit zu kämpfen hat und dass es ihr nicht gelungen ist, das Vertrauen der europäischen Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen. Und nach dem Brexit macht sie sich noch mehr Sorgen um die Krise ihrer moralischen Autorität.

Ungarn ist deswegen zum Ziel des Zorns der westlichen Kulturelite geworden, weil es Gefühle und Werte zum Ausdruck bringt, die in Millionen von Menschen auf der ganzen Welt Resonanz finden. Sie erinnern die Menschen daran, dass es einen Ort in der Welt gibt, an dem die biologische Realität auch heute noch gilt und wo trotz identitätspolitischer Diktate die Unterschiede zwischen den Chromosomen nach wie vor von Bedeutung sind. Die westliche Kulturelite ist entschlossen, diese Wahrnehmung als schuldhaft und ihre Vertretung als inakzeptabel zu betrachten.

Der Autor ist Soziologe, Publizist /London

Original: https://latoszogblog.hu/aktualis/miert-lett-magyarorszag-nyugati-kulturalis-elit-kedvenc-celtablaja/ Aus dem Ungarischen: Andrea Martin

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