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Die Schuldenunion als ein Etappensieg der „guten“ Europäer?

5. April 2021 Gastbeitrag von ISTVÁN HEINRICH

Der Hamilton-Moment

Ein blendender Kerl dieser Hamilton. So konnten die Zeitgenossen über Alexander Hamilton (1755-1804) etwa 1780-1790 als über einen der Gründerväter Amerikas denken. Er brachte es mit großer Begabung fertig, ohne je eine öffentliche Schule besucht zu haben als gebildeter und allgemein anerkannter Mann zu gelten. Als Mitglied einer progressiven Gruppe war er Autor der „Federalist Papers“. Die Mitglieder der Gruppe der Föderalisten traten entschlossen dafür ein, Amerika von einem lockeren Staatenbund in einen starken Bundesstaat zu verwandeln. Als erster US-Finanzminister 1790 hatte Hamilton kurz nach der Gründung der USA, die Schulden der Einzelstaaten zu Bundesschulden gemacht.

Das war also die Geburtsstunde der Vereinigten Staaten von Amerika.

Hans-Werner Sinn (1948-), einer der bekanntesten deutschen Volkswirtschaftler, langjähriger Präsident des berühmten ifo-Instituts, schildert diesen Vorgang – und dessen Folgen – ausführlich in der Einleitung seines neuesten Buches Der Corona-Schock (2020). Wie er schreibt, argumentierte Hamilton so, dass „die Schulden seien im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten entstanden und müssen nun auch gemeinsam getragen werden. Sie seien „Zement“ zur Festigung des neu gegründeten Staates“. Der Historiker Harold James hat in der Festschrift für Michael Bordo 2015 dazu lakonisch bemerkt, Hamilton habe dem neuen Staat nicht Zement, sondern Sprengstoff geliefert.

Olaf Scholz (SDP), der derzeitige deutsche Finanzminister, griff im Mai 2020 zu einem geschichtlichen Vergleich. Als historisches Vorbild nannte er die Entscheidung Hamiltons. In einem Interview in der Zeit sagte er zu den Aspekten des sogenannten „Wiederaufbaufonds“, die eine Kreditaufnahme der EU im Umfang zunächst 500, derzeit bereits 750 Milliarden Euro notwendig machte, dass im Zuge einer tieferen Integration der EU sollte eine zeitweilige Aufnahme der Schulden auf europäischen Ebenen kein Tabu sein.

Vom Staatenbund zum Bundesstaat

Krisenzeiten, genauso wie Katastrophen und Kriege sind politisch verführerisch. Finanzielle Begehrlichkeiten können sich plötzlich leichter durchsetzen. Alte politische Ideen lassen sich als neue Lösungswege verkaufen. Sachliche und juristische Bedenken können mit dem Hinweis auf die Ausnahmesituation übergangen werden. Sie zwingt die Entscheidungsträger zu wählen zwischen Sprengstoff und Zement.

So ist es auch in der gegenwärtigen Situation. Rainer Hank, ein Wirtschaftsjournalist spricht eine dringende Warnung in seinem Aufsatz Von guten und schlechten Europäern aus. Dort heißt es: Eine durch Corona hervorgerufene Fiskalunion, welche die Schwelle vom Staatenbund zum Bundesstaat überschreiten würde, würde zu einem höchst gefährlichen Resultat führen.

Die Schuldenunion ist keine Lösung für Europa. Und diejenigen, die diese Warnung aussprechen, sollten sich nicht als schlechte Europäer beschimpfen lassen. Im Gegenteil: Es ist eine Warnung vor künftigem Hass und Zwietracht.

Davon gibt es in Europa seit der Finanz- und Eurokrise schon viel zu viel.

Aber diese Warnung hat nicht nur fiskalische, sondern auch demokratietheoretische Argumente auf ihrer Seite: „Denn die demokratische Legitimation der EU ist bis heute sehr schwach, anders als die auf Souveränität des Volkes beruhende Legitimation der Nationalstaaten“.

Warum ist der von Olaf Scholz herangezogene Vergleich schief und gefährlich?

Das erklärt Hans-Werner Sinn sehr präzise. Zunächst hat Europa anders als seinerzeit die USA, keinen gemeinsamen Staat gegründet. Darüber hinaus: Was lehren die schlechten Erfahrungen, die die USA nach 1790 mit der Schuldenunion machten? –  Die unkontrollierte Kreditaufnahme, die aus Hamiltons Schuldenunion folgte, führte zu einer Blase, die in der zweiten Hälfte der 1830er Jahre platzte.

Die Blase entstand, weil die Gläubiger sich zunächst angesichts der Rückendeckung durch den Bund sicher wähnten und mit weniger Zinsen begnügten. Die normale Schuldenbremse, die daraus resultiert, dass die Gläubiger aus Angst vor dem Verlust ihrer Forderungen immer höhere Zinsen verlangen, wenn die Schuldner sich nicht mäßigen wollen, war außer Kraft gesetzt. Wie immer ließ sich die Schuldenorgie gut an. Es wurde kräftig in die Infrastruktur investiert, Straßen, Brücken, Kanäle wurden gebaut. Das schuf Jobs für die Bauarbeiter. Doch waren nicht alle Projekte rentabel. Die Eisenbahn, die in den 1830er Jahren aufkam, ließ die teuren Kanäle obsolet werden. Immer mehr Investoren und Gläubiger befürchteten Verluste. Sie stoppten ihre Projekte oder wollten sie ihr Geld zurück. Es kam zu vielen Privatkonkursen, denen staatliche Konkurse folgten.

„In den fünf Jahren von 1837 bis 1842 mussten neun der damals existierenden 29 Staaten und Territorien der USA ihre Zahlungsunfähigkeit erklären.

Der Zentralstaat hatte zwar anfangs versucht, die Lasten zu übernehmen, doch fehlten ihm die Mittel, weil die Geldgeber auch ihm misstrauten. Nichts als Hass und Streit war durch die Schuldenunion entstanden“. (H-W. Sinn)

 Es gab außerdem noch eine bittere Lehre für die Amerikaner: Man kann eine direkte Linie zu dem Jahre später einsetzenden Sezessionskrieg ziehen. Die unlösbare Schuldenproblematik hat zu den Spannungen beigetragen, die sich in diesem Krieg entluden.  Die Amerikaner haben ihre Lektion gelernt. Sie reagierten darauf, indem sie strikte Schuldengrenzen für die Einzelstaaten beschlossen und der Schuldensozialisierung ein Ende bereiteten.

Die EU-Wiederaufbaufond und das Bundesverfassungsgericht

In einem relativ aktuellen Beitrag Deutschland haftet https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/eu-rettungsfonds-adenauer-stiftung-spricht-von-dammbruch-17265831.html schreibt Heike Göbel: „Der Bundestag gibt einen Teil seiner Finanzhoheit an die EU. Der Wiederaufbaufonds wird als Ausnahme bezeichnet. Doch dabei wird es kaum bleiben.“

Nur einen Tag später erschien ein zweiter Artikel zu dem gleichen Thema aus der Feder von Nikolas Busse in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem Titel Die EU als Staat? Der Autor weist darin auf die Defizite der europapolitischen Debatten in Deutschland hin. In der Tat kann man nur als eine Unterlassungssünde der CDU und CSU samt der FDP bezeichnen, dass sie es versäumt hatten noch vor dem Beschluss des Corona-Sonderhaushaltes im Mai vorigen Jahres über den Wiederaufbaufonds eine breite Diskussion zu führen. Derzeit erkennt man, dass die heute sichtbare Schwäche der CDU und CSU schon von dem damaligen Zeitpunkt an die Parteien heranschleichen begann. Ihnen war bereits damals bekannt, dass SPD, Grüne und Linke schon lange das Wort einer EU-Haftungsgemeinschaft reden. Auch in Brüssel und Paris freute man sich über den „historischen Moment“.

Wie bereits ausgeführt sprach Bundesfinanzminister Scholz von einem neuen Hamilton-Moment für die EU, dem nach aus gemeinsamen Schulden ein gemeinsamer Staat entstehen wird.

Somit wurde der EU-Wiederaufbaufonds ein Fall für das Bundesverfassungsgericht. Vor dem Gericht liegen erste Klagen vor. Juristen bezweifeln, dass die Beschlüsse vom Grundgesetz gedeckt sind. Der Bonner Professor Matthias Herdegen erklärte in der F.A.Z., dass

für die Folgen fremden Willensentscheidungen deutsche Steuerzahler nicht haften dürfen.

Jedenfalls läuft schon seit langer Zeit ein gerichtlicher Streit über die Kompetenzen der Europäischen Zentralbank, der bislang nicht die erhoffte Klarheit brachte.

„Der Streit über die Befugnisse der EU und ihre Währungsunion muss daher politisch offen ausgefochten werden. Ökonomische Gesetzmäßigkeiten sollte die Politik dabei lieber nicht ignorieren. Die Handlungsfähigkeit der EU hängt davon ab, ob sie ihre Schulden nach der Pandemie wieder in den Griff bekommt.“ (Heike Göbel)

Der Autor, Prof. Dr. István Heinrich ist Agrarökonom i.R.

Bildquelle: Bundesverfassungsrichter: www.bayernkurier.de

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