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Jeder Mensch hat zwei Ichs, das gute und das böse

Geheimnisvolle Insel (1903) Das Gemälde übertraf alle bisherigen ungarischen Auktionsrekorde, es wurde 2021 für 460 Millionen Forint (1,3 Millionen Euro) versteigert.

17. Dezember 2021, Gastbeitrag von GÁBOR T. TÚRI

Der berühmte ungarische Maler, Tivadar CSONTVÁRY-KOSZTKA (1853-1919)

Westlichen Bürgern – sogar den Kunstinteressierten – sagt der Name des berühmten ungarischen Malers Tivadar Csontváry-Kosztka kaum etwas. Unter den Kunsthistorikern in der westlichen Hälfte Europas ist sein Name jedoch schon eher bekannt

Die Bilder Csontvárys sind nicht einfach nur Landschaften oder Pleinairmalerei (Freiluftbilder), sondern fast alle haben eine historische, biblische oder sogar mystische Botschaft. Das ist es, was den Künstler so besonders macht. Hinzu kommt die Tatsache, dass seine Gemälde oft recht große Räume benötigen, um ausgestellt zu werden, da sie teilweise bis zu 3×5-6 Meter groß sind.

Der Künstler wurde 1853 geboren und lebte 66 Jahre. Im Jahr 1875 machte er seinen Abschluss in Pharmazie und wurde Apotheker. Er war 27 Jahre alt, als er auf einem Arzneimittelrezept sein erstes „Werk“, einen Ochsenkarren auf der Straße zeichnete. Dem unfreiwilligen Ausruf seines Vorgesetzten folgend („Sie sind zum Maler geboren!“) verkaufte er seinen Anteil an der Apotheke und begann zu reisen.

Bei seiner Entscheidung half ihm eine geheimnisvolle Stimme, die er von oben zu sich sprechen hörte und die sagte:

„Du wirst der größte Sonnenweg-Maler der Welt werden“

Csontváry war der erste Künstler, der den Begriff „Napút“ (Sonnenweg) einführte, um sich selbst zu beschreiben. Dieser Begriff kennzeichnet, nach seiner Pleinair-Bedeutung, die Veränderungen des Lichts, die während der Wanderung der Sonne auftreten. Aber „Sonnenweg” bedeutet bei Csontváry viel mehr auch eine „astral-mythologische“ Reise der Sonne, im Tierkreis und in der Milchstraße.

Csontváry  reiste u. a. nach Palästina, Ägypten, Italien und Deutschland, um Erfahrungen zu sammeln. Währenddessen malte er und malte, immer weiter, 16 Jahre lang.

Wer vor seinen riesigen, 6-7 Meter langen Gemälden steht, wird überwältigt von der Vision und der Botschaft, die diese Bilder vermitteln.

Steht man also davor, muss man sich dadurch, unter dem Einfluss der Eindrücke, zugleich der eigenen Kleinheit bewusst werden. Sowohl in Bezug auf die Bilder als auch auf den Künstler.

Der Kunsthistoriker Gábor Pap befasst sich 1992 in seinem Werk „Der Maler des Sonnenweges” insbesondere mit dem in Csontvárys Gemälden versteckten Sonnenweg, dem Tierkreis. Er beschreibt, wie dieses Symbol in den Gemälden des Künstlers zum Ausdruck kommt und welche Bedeutung es hat.

Besonders detailliert geht der Künstler auf die Zeichen des Tierkreises (Zodiak oder Zodiacus) zum Beispiel in seinem Gemälde „Gesellschaft beim Überqueren der Brücke“ ein, aber auch im Gemälde „Schiffbruch“ ist das Gleiche zu lesen. Gleichzeitig lernen wir auch die so genannte „magisches Bild“-Methode kennen, um die in seinen Bildern verborgenen Informationen zu deuten.

Der alte Fischer (1902)

Betrachten wir in diesem Sinne das Bild, das ich gerade ausgewählt habe, „Der alte Fischer“, das zwar aufgrund seiner kleinen Größe (59×45 cm) fast das Gegenteil der meisten seiner hier erwähnten Bilder darstellt, aber dafür eine größere Botschaft innehat. Und gerade deshalb nimmt es einen sehr wichtigen Platz unter jenen 112 Bildern des Künstlers ein, die erhalten geblieben sind.


Das Gemälde

Dieses Werk des Künstlers stammt aus dem Jahr 1902. Vor dem Hintergrund des blauen Meeres erhebt sich eine traurige, fast schon düstere Gestalt mit grob geschnittenen Zügen, die uns anschaut, als sei sie ein Überlebender der alten Welt. Man spürt förmlich, dass in dieser alten und erfahrenen Seele gleichzeitig Bitterkeit, Freude und Beruhigung stecken, vielleicht auch mit einer Portion Herzlichkeit.

Doch nun wollen wir uns ansehen,

was passiert, wenn an die vertikale Mittellinie des Bildes ein Spiegel gehalten wird?

BILD-2

Spiegelt man jetzt den Teil des Gemäldes, der sich auf der rechten Seite des Fischers befindet,auf die linke Seite des Gemäldes, sieht man einen müden alten Mann mit freundlichen und wohlwollenden Zügen, resigniert in sein Schicksal, der seine Hände zum Gebet hält, mit dem ruhigen blauen Meer, der idyllischen Küste und dem Vesuv im Hintergrund.

BILD-3

Auf dem dritten Bild sehen wir jedoch das Gegenteil! Dort wird die linke Seite des Fischers reflektiert. Und hier sehen wir statt des liebevollen alten Fischers etwas ganz anderes. Es gibt keine betende Hand mehr, sondern Gliedmaßen, die in einer Spitze enden, die zum Angriff fähig ist und fast den Bart berührt, der ebenfalls in einer Spitze endet und ein Gesicht mit einem strengen Ausdruck und einem gebieterischen Blick umrahmt.


Das Gesicht eines Teufels…

Ein Teufel mit einem hornähnlichen Kopf, mit Haarspitzen, die in den Himmel zeigen, um den Charakter des Teufels zu unterstreichen. Und hier ist der Hintergrund nicht mehr ein ruhiges Blau, sondern gräulich! Der Himmel ist schwermütig bewölkt, die Küste ist nicht mehr idyllisch, sondern Dutzende von Schornsteinen stoßen giftigen Rauch in den Himmel, und das wütende Meer umspielt im Hintergrund grimmig die breiten Schultern des Teufels, die, wenn man genau hinsieht, vielleicht sogar auch die unordentlichen schwarzen „Teufelsflügel“ verbergen.
In der Tat ein luziferisches Bild!

Und das ist es, was Csontvárys brillante Beobachtung und Einsicht veranschaulicht,

dass es in jedem von uns – wie in diesem alten Fischer zwei Ichs gibt, das gute und das böse,

von denen jedes nur auf einen Spiegel wartet, der ihm erlaubt, sich zu befreien und die andere Hälfte unserer Seele zu verschlingen. Seien wir also vorsichtig, mahnt uns der Künstler mit diesem Bild, wie wir unseren Spiegel halten!

Autor, Dr. Gábor T. Túry ist Arzt.

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