15. Oktober 2024 Magyar Hirlap von IRÉN RAB
Es sind genau 800 Jahre her, dass András II., der ungarische König, den auf seinen Besitzungen seit drei Generationen lebenden Deutschen, die man einfach Sachsen nannte, einen goldenen Freibrief ausgestellt hatte. So kam das nach dem Namen des schenkenden Königs benannte Andreanum zustande, das inhaltlich gesehen bis zum heutigen Tag ein zu befolgendes Beispiel sein könnte,
wie Selbstbestimmungsrechte die Bewahrung der nationalen Identität unterstützen.
Das Andreanum sicherte eine umfassende territoriale Autonomie einer klar umgrenzten Bevölkerungsgruppe, nämlich den in Siebenbürgen angesiedelten Sachsen zu. Das Gebiet nannte man Königsland (Királyföld), denn der König schenkte dieses aus seinen eigenen Besitztümern. Dieses Gebiet durfte man nicht veräußern oder verpfänden, die hier lebende, homogene Bevölkerung schuldete ausschließlich dem König Steuern, ihm mussten sie Soldaten stellen und für den Schutz der Grenzen sorgen. Sie war gegenüber jeglicher fremden Jurisdiktion geschützt, ausschließlich ihre selbst gewählten Vorstände durften über sie Gericht halten. Sie konnten ihre Priester selbst wählen, durften ihre eigene Sprache benutzen. Sie bekamen das Recht auf den freien Handel und auch Marktrechte wurden ihnen zugestanden.
Der Freibrief über die Privilegien von Andreas II. – wie so viele andere, wichtige, ungarische Dokumente oder schriftliche Urkunden – blieben wegen der Wechselfälle der Geschichte nicht im Original erhalten. Die ungarischen Könige und später die Fürsten von Siebenbürgen bekräftigten jedoch immer wieder diesen Freiheitsbrief und erweiterten sie den Bedingungen der Zeit entsprechend. Wir wissen von dreizehn solchen Bekräftigungen. Die älteste stammt von König Károly Róbert (Karl Robert) aus dem Jahr 1317, anstatt des Originals wird dieses Exemplar vorgezeigt. Das wichtigste Dokument für die Bekräftigung der Privilegien wurde von König Mátyás (Matthias) ausgestellt, er hatte die Rechte der auf dem Gebiet des Königslandes lebenden Sachsen auf alle in Siebenbürgen ansässigen Sachsen ausgedehnt.
So kam im Jahr 1486 die „Universitas Saxorum“ zustande, durch die die rechtliche Ausnahmestellung der Sachsen bis zum Jahr 1876 bewahrt wurde.
Von den achthundert Jahren der Ansässigkeit bestanden für sechshundertfünfzig Jahre die goldenen Freiheitsrechte, die der zahlenmäßig eigentlich nicht allzu großen sächsischen Gemeinde ermöglichten, ihren Bestand zu wahren, sich weiterzu entwickeln und zu einer politisch-nationalen Einheit zu werden. Die „Unio Trium Nationum“, ein im Jahr 1437 in Kápolna mit den Ungarn, Seklern und Sachsen geschlossener Vertrag erhob die Sachsen zu einer politischen Nation. Die Ständegesellschaft in Siebenbürgen bestand nämlich aus Nationen und so wurde bis 1848 die politische Einrichtung in Siebenbürgen definiert. Die im Jahr 1876 eingeführte, moderne, bürgerliche Verwaltungsreform veränderte die Landkarte von Siebenbürgen, die Selbstverwaltung der Sekler und Sachsen und die traditionellen, politischen Ständerechte wurden abgeschafft
Das Vermögen der Sachsen führte man in eine Stiftung über, die garantierte, dass die sächsische Identität in Siebenbürgen, was Kultur, Bildungswesen und Religion betraf, weiter bestehen bleiben konnte.
Die Sachsen sehen das natürlich anders. Ihrer Meinung nach war die ungarische politische Elite die Ursache für alles Schlechte, sie zwang die Österreicher 1867 zum Ausgleich und zur Installation der dualistischen Staatsform, sie lösten Siebenbürgen, das gerade im Begriffe war, zu einer „östlichen Schweiz“ zu werden, auf und schlossen es Ungarn an.
Die Sachsen sonderten sich nicht nur wegen ihrer Sprache, sondern ab der Reformation auch wegen ihres Bekenntnisses von den anderen Nationen ab. Sie wurden evangelisch-lutherisch und blieben auch dabei.
Die Landesversammlung 1568 in Torda anerkannte offiziell diese religiöse Ausrichtung ein für alle Mal neben den katholischen, evangelisch-kalvinistischen und unitarischen Glaubensgemeinschaften.
Damals, als in Europa gerade Religionskriege wüteten, wurden im Habsburger-Reich zu dieser Zeit und auch noch hundert Jahre später Prediger lutherischen Glaubens, die nicht bereit waren ihr Bekenntnis abzuschwören und ihre Gemeinde zu verlassen, zum Tode oder zur Galeerenhaft verurteilt.
Von den Stürmen des 20. Jahrhundert bekamen auch die Sachsen ihren Anteil ab, obwohl sie selbst für die Wunden die Verantwortung trugen. Im Januar 1919, im Beschluss von Medgyes, votierten sie auch für die Vereinigung mit Rumänien. Sie glaubten den schönen, rumänischen Worten, wie sie sagen: wegen der schlechten Erfahrungen, die sie in den vorhergehenden Jahrhunderten mit den Ungarn gemacht hatten. Die versprochenen Garantien der Rumänen wurden nicht eingehalten,
der rumänische Staat konfiszierte das Vermögen der Sachsen 1937 endgültig.
Im zweiten Weltkrieg unterstützten sie – verständlicherweise – Deutschland, die Männer im Waffen-SS, die Frauen auf ihrer Weise. Rumänien gab dafür sogar eine schriftliche Erlaubnis, so lange das Land mit Deutschland Seite an Seite kämpfte. Später aber, als sowjetischer Bündnispartner wurden die Sachsen zu „malenkij robot“ verschleppt und kamen entweder auf den Gulag, oder in das berüchtigte Donau-Delta.
Als die rumänischen Kommunisten Geld benötigten, verkauften sie ihre Deutschen – die Sachsen und die Donauschwaben – an die Bundesrepublik Deutschland.
Dort gab es schon damals Sorgen wegen des Arbeitskraftmangels, viele Menschenleben gingen in dem Weltkrieg verloren. Der deutsche Staat hat nicht wenig Geld für einen Menschen gezahlt, im Durchschnitt 8000 DM. Der Menschenhandel florierte und es bestand eine „win-win-Situation“ , die Siebenbürgersachsen kamen in die freie Welt, die Rumänen bekamen Geld und sogar das sächsische Vermögen blieb ihnen erhalten. Bei der Volkszählung 2022 gaben 22 900 Menschen in Rumänien Deutsch als Nationalität an. Sie überließen ihre Gebiete, ihre Heimat den während der Jahrhunderte in immer größerer Zahl nach Siebenbürgen eingewanderten Rumänen und Sinti und Roma.
Von der durch die Geheimdienste durchgeführten „Operation Einkassieren“ möchten weder die Deutschen, noch die Rumänen gern sprechen.
Sie möchten auch von den Ungarn nicht sprechen, sie haben uns zum Beispiel zu den Feierlichkeiten anlässlich des 800-Jahresjubiläum des Adrianums gar nicht eingeladen.
Die Deutschen denken pragmatisch oder ihren Interessen entsprechend. Die wunderbaren Städte mit Stadtmauern und die Wehrkirchen des Sachsenlandes liegen heute auf dem Gebiet Rumäniens. Deutsches Interesse ist die Bewahrung des kulturellen Erbes, und darin sind die Ungarn wie immer, nur ein störendes Element. Uns lässt man lieber nicht das Gedenken mitfeiern, weil wir dort nur betonen würden, dass Andreas ein herausragender König war, „von Gottes Gnaden König von Ungarn, Dalmatien, Kroatien, Rama (Bosnien ), Servien, Galizien und Lodomerien (Wolhynien, NW-Ukraine) für alle Zukunft“ der nicht aus Schwäche die Goldene Bulle (1222) herausgab, das Widerstandsrecht im Schlussabschnitt nicht deswegen hineinschrieb, weil er sich in die Ecke gedrängt fühlte, wie das die maßgebenden, deutschen Historiker seit Jahrhunderten verkünden. Er war gerade seiner Zeit voraus und wollte die königliche Macht auf neue Grundlagen stellen. Er ließ das Andreanum auch nicht deshalb herausgeben, damit er jederzeit auf die verlässlichen Dienste der Sachsen gegen die rebellischen Ungarn zählen konnte, wie die deutsche Geschichtsschreibung das darstellt. „. ..Da nun unsere gesamten deutschen Gäste jenseits des Waldes her fußfällig und demütig klagend vor unserer Majestät erschienen sind und in ihrer Klage uns flehentlich vorgestellt haben, so wollen wir, die gerechten Klagen derselben in gewohntem Pflichtgefühl gütig anhörend, ihnen das frühere Freitum zurückgegeben haben…“ steht wortwörtlich im Goldenen Freibrief.
Was das Andreanum betrifft, aber auch viele anderen Geschichtsfragen, unterscheiden sich die deutschen und ungarischen Narrativen stark.
Das Bild der Ungarn erscheint ziemlich entstellt in der deutschen Wirklichkeit. Das wurde jedoch nicht durch die gegenwärtige politische Absicht, sondern durch die Jahrhunderte alte Reichsidee der Habsburger verursacht. Es sollte nachgewiesen werden, dass die Ungarn kein Kulturvolk sind, sondern eine dahergekommene, wilde, asiatische Rasse, die ihre Existenz und ihre Zivilisation den Deutschen verdankt. Ludwig August Schlözer, der zum Beispiel die Geschichte der Sachsen zusammenstellte, hat 1795 die Geschichte der Arpadenzeit einfach umgeschrieben, damit er diese These untermauern konnte. „. Es ist kein wahres Wort daran, daß die Ungarn seit a. 1000 Herrn von Siebenbürgen gewesen; kein wahres Wort, daß Ungarn es erobert haben; kein wahres Wort, daß Ungarn und Sekler frühere Besitzer des Landes gewesen, als Deutsche. Demnoch haben Sekler und Ungarn den Deutschen ihre FUNDOS in Siebenbürgen zu danken , nicht umgekehrt. Daß Ungarn nicht nur ihre Menschheit (Cultur), sondern auch ihre Existenz, den Deutschen zu verdanken haben, ist ein FACTUM, ohne Deutsche würde kein Madjar auf Gottes europäischem Boden sein, so wenig Petschenegen und Cumanen ihre Drillingsbrüder.“
Wir können den Irrtum des Professors widerlegen, aber was erreichen wir damit? Schlözer war nur an der Bestätigung seiner Theorie interessiert, und obwohl er nie in Siebenbürgen oder Ungarn war und die Sprache auch nicht sprach, urteilte er trotzdem in einer den Widerspruch nicht akzeptierenden Weise. Im Übrigen genauso, wie die Politiker, Zeitungsleute, Wissenschaftler etc., die sich, ohne unsere Sprache und Kultur zu kennen, heutzutage über uns äußern. Wie könnten sie ohne diesen Hintergrund verstehen, was wir sagen und weshalb wir so denken.
Autorin Dr. phil. Irén Rab ist Kulturhistorikerin
Deutsche Übersetzung: Dr. Gábor Bayor
MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20241010-andreanum-1224
Der vollständige Text des Freibriefs: https://ungarnreal.de/der-freibrief-der-siebenbuerger-sachsen-1224/
Bild: Das Siebenbürgische Wappen, das die drei historischen Nationen darstellt, die Ungarn (mytischer Turulvogel) die Sachsen (sieben roten Burgen), und die Szekler (Sonne und Mond)