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UNGARISCHES  GOLGOTHA  IN BATSCHKA UND BANAT

24. November 2024 Magyar Hírlap von Irén Rab

Lasst uns sie begraben, lasst uns sie zählen, lasst uns sie mit Ehre in das Totenregister eintragen und lasst uns von ihnen sagen, dass sie auch Opfer sind.

Pilger aus Temerin, aber ebenso aus der gesamten Vojvodina und Umgebung werden sich an diesem Wochenende auf den Weg machen, um am Sonntag in der katholischen Erzpfarrkirche St. Peter und Paul in Kishunhalas aller unschuldigen Opfer des Zweiten Weltkriegs zu gedenken und für sie zu beten.

Temerin liegt in Serbien, im geografischen Zentrum der Vojvodina, und es ist heute das wirtschaftlich am besten entwickelte Gebiet der Region.

Vor hundert Jahren war es ethnisch rein ungarisch, heute sind Temerin und seine Umgebung überwiegend serbisch, und nicht mal ein Drittel der achtundzwanzigtausend Einwohner sind Ungarn.

Erst nach dem Friedensdiktat von Trianon wurde die ethnische Struktur der Region zum ersten Mal verändert, denn das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, welches auf den Ruinen der Monarchie zusammengeschustert wurde, versuchte sich das langfristige Eigentum des Gebietes zu sichern, indem es die ethnische Homogenität veränderte. Südslawen, vor allem Serben, wurden angesiedelt, und Jugoslawien tat nach 1945 weiterhin das Gleiche, die ungarische Mehrheit blieb jedoch bis zum Bruderkrieg zwischen den Südslawen nach dem Zerfall Jugoslawiens erhalten. Die starke Veränderung der ethnischen Proportionen, die mit Spannungen und Konflikten einhergeht, kann mit den Kriegsereignissen der 1990er Jahre in Verbindung gebracht werden, insbesondere mit der Ankunft serbischer Flüchtlinge.

Den ungarischen Bevölkerungsschwund gibt es nicht nur in Temerin, sondern in ganz Batschka und Banat sowie in allen 1920 annektierten Gebieten des historischen Ungarn. Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen bekam vom Königreich Ungarn damals 20.600 Quadratkilometer Land und fast eine halbe Million autochthone Ungarn. Es ist schwer zu schätzen, wie viele von ihnen überlebt haben, da seit dem Zerfall Jugoslawiens allein aus den ehemaligen ungarischen Gebieten drei neue Staaten – Serbien, Kroatien und Slowenien – entstanden sind. In Serbien, wo Temerin liegt, leben noch etwa 250.000 Ungarn. 

Der südslawische (jugoslawische) Nachfolgestaat der österreichisch-ungarischen Monarchie hat in seiner achtzigjährigen Geschichte in sieben verschiedenen Entitäten existiert. Einmal hörte er auf zu existieren: Im April 1941 besetzten die Achsenmächte auf Betreiben Nazi-Deutschlands das aus vielen Teilen bestehende Land und teilten es unter sich auf. Ungarn wollte sich aus dem Krieg heraushalten, und der erzwungene Einmarsch in Jugoslawien wurde vom damaligen ungarischen Ministerpräsidenten Pál Teleki als ein Akt des Meineids angesehen, und er verlieh seinem Protest Nachdruck, indem er Selbstmord beging (manche spekulieren, dass nicht er, sondern ein Gestapo-Offizier, der gekommen war, um ihn zu überreden, die Waffe zog). Die Ungarn bekamen Batschka, das Baranya-Dreieck und das Muragebiet, die Grenzgebiete, in denen die meisten Ungarn lebten, zurück.

Jugoslawien existierte danach de iure nicht, sondern nur de facto.

Irreguläre militärische Formationen schossen wie Pilze aus dem Boden, überall entstanden „Befreiungs“-Truppen, kroatische Ustascha, serbische Tschetniks, kommunistische Partisanen standen in ständigem Konflikt mit den Besatzungstruppen.

Die ungarischen Gendarmen reagierten auf die wiederholten Aktionen der Partisanen mit Razzien. In den kalten Wintertagen im Januar 1942 fielen den Gendarmerieangriffen etwa 3.500 Menschen zum Opfer: Partisanen, Kommunisten, Serben, Juden und auch Ungarn. Siebenundvierzig Menschen wurden in Temerin erschossen.

Am Ende des Krieges und bei den Massakern danach wollten die Partisanen mindestens das Zehnfache der sog. „kalten Tage“ an der unschuldigen ungarischen Bevölkerung rächen. Es wird angenommen, dass sie die Ungarn dezimierten, wobei

vierzig- bis fünfzigtausend Ungarn den befreienden kommunistisch-antifaschistischen Partisanen zum Opfer fielen.

Die in diesem Gebiet lebenden Deutschen entkamen nur, weil die sich zurückziehenden deutschen Truppen ihre Umsiedlung nach Deutschland angeordnet hatten und sie mit deutscher Präzision auch durchführten. Von den Ungarn flohen nur wenige, da dies ihre angestammte Heimat war und sie sich auch nicht schuldig fühlten.

Etwa im Oktober/November 1944, noch vor dem Eintreffen der sowjetischen Truppen, tauchten serbische Partisanen auf. In der ersten Runde ermordeten sie brutal all diejenigen, die sie erreichen konnten, und der Rest wurde in behelfsmäßigen Konzentrationslagern eingesperrt, zur Zwangsarbeit verurteilt, gefoltert, gedemütigt und fristete monatelang, vielleicht jahrelang, ein höllisches Dasein umgeben von Stacheldraht. Kirchen wurden dem Erdboden gleichgemacht, Priester verschleppt, Hab und Gut der Menschen beschlagnahmt. Und das alles passierte dann, als der Krieg bereits vorbei war, als alle aufatmeten und auf Versöhnung hofften.

Das siegreiche kommunistische Jugoslawien und das besiegte, Kommunist gewordene Ungarn schlossen ein Abkommen und Teil dieses Abkommens wurde das Schweigen. Fünfundvierzig Jahre lang durfte niemand darüber sprechen, niemand wagte es, darüber zu berichten, was in Batschka, im Sajka-Tal, entlang der Theiß, oder in Zombor geschehen war, man könnte die Orte der brutalen ethnischen Säuberung und der Rache lange aufzählen.

In Temerin wurden in den ersten Tagen der Besatzung so viele Männer ermordet, dass man die Leichen nicht beerdigen konnte. Der Friedhofgraben, die Abdeckerei und eine riesige frisch ausgehobene Grube reichten nicht aus, um die Leichen zu begraben. Die Menschen wurden ohne jeden letzten Respekt in die Massengräber geworfen, ohne sich zu vergewissern, dass sie auch wirklich alle tot waren. Einige krochen lebendig unter den Leichen hervor, andere konnten den Anblick nicht ertragen und erhängten sich. Keiner entkam.

Mitte der achtziger Jahre beschlossen die Frauen von Temerin, einen Betonkranz um das nicht gekennzeichnete Massengrab errichten zu lassen und eine Gedenktafel aus Marmor anzubringen. Sie sammelten Geld und beauftragten einen Steinmetz. Daraufhin wurden die Frauen von der Polizei aufgegriffen, die von ihnen verlangte, eine Erklärung zu unterschreiben, dass sie ein Mahnmal durch öffentliche Spenden für Faschisten errichten lassen wollten. Sie wollten nur ein würdiges Mahnmal errichten, um endlich ihrer unschuldig ermordeten Angehörigen zu gedenken und sie zu ehren. Musste ein Ungar vierzig Jahre nach den Ereignissen immer noch Angst haben?

Der kommunistische Völkermord an Zehntausenden von Ungarn in Batschka und Banat war ein Verbrechen.

Es braucht nicht mehr als gesunden Menschenverstand und christliche Moral, um dies festzustellen und laut zu sagen. Was den Ungarn dort im Süden um die Jahreswende 1944-45 widerfuhr, war eine Sünde vor Gott und den Menschen.

Der Journalist Márton Matuska begann erst im allerletzten Moment über diesen Völkermord zu berichten. Es gab damals noch Menschen, die sich erinnerten und es wagten –  einige nur anonym – zu reden. Es gab auch solche, welche die Orte der Geschehnisse zeigen konnten. Die Archive wurden endlich geöffnet. Man konnte beginnen, Spuren zu verfolgen, Listen zu erstellen, Geschichten zu erzählen, auch solche Geschichten, die dem Vergessen bestimmt waren. Zu den Gründen, warum er das alles tat, möchte ich ihn selbst zitieren:

Sollen wir uns mit der Schuld abfinden, dass wir schlimmer seien als alle anderen Nationen, weil es bei uns höchstens Sünder gäbe und unsere Opfer, wenn überhaupt, taktvoll verborgen werden? Sollen wir die unerträgliche Last der Kollektivschuld tragen und uns fragen, warum die Zahl der Selbstmorde unter den Ungarn so hoch ist? Warum war sie vor dem Ersten Weltkrieg nicht so hoch? Sie haben nicht mal Lust, sich zu vermehren! Lohnt sich das für ein solches Volk?

Ich will es Ihnen nur mitteilen. Ich möchte unsere Toten zu den anderen Opfern stellen, damit auch sie an den Jahrestagen einen Kranz erhalten. Damit sie nicht in einem Friedhofsgraben mit städtischem Müll bedeckt, unter Akazienbäumen, die über ihnen gepflanzt wurden, unter Tennisplätzen, die über ihnen angelegt wurden, in einer Bergwerksgrube oder in der Lehmgrube einer Ziegelei liegen müssen.

Lasst uns sie begraben, lasst uns sie zählen, lasst uns sie mit Ehre in das Totenregister eintragen und lasst uns von ihnen sagen, dass sie auch Opfer sind.

Und wenn all dies geschehen ist, lasst uns nicht verkünden, dass wir jetzt wieder an der Reihe seien, das alles wie üblich mit Zinsen heimzuzahlen, sondern lasst uns sagen, dass das alles endgültig vorbei ist. Deshalb müssen wir nach der Entdeckung der Massengräber von 1944 sagen, dass es aus ist. Ende.“

Aus diesem Grund feiern die Pilger die Messe. Um sich zu erinnern und um Frieden in unseren Herzen zu finden, ohne an Rache zu denken.

Autorin, Dr. Irén Rab ist Kulturhistorikerin

MAGYARUL: https://www.magyarhirlap.hu/velemeny/20241122-delvideki-magyar-golgota

Deutsche Übersetzung von Dr. Andrea Martin

Bild: „Der zerrissene Christus“ Denkmal von Csúrog

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