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Mit dem ungarisch-französischen Tandem in die Zukunft Europas

21. Dezember 2021 Mandiner von MÁTYÁS KOHÁN

Macron hat den Ungarn kaum mehr als eine Interessengemeinschaft zu bieten. Dies kann aber in den europäischen Streitereien unserer Zeit durchaus nützlich sein.

Wir befinden uns im Kriegszustand. Die Europäische Kommission geht in ihrem Kampf gegen den zwei konservativen Modellstaaten Europas mit Volldampf voran, um zu erreichen, dass… naja, eigentlich wissen sie selber nicht, was sie erreichen wollen, sie wurschteln sich nur den Mangel strategischen Denkens weg, indem sie uns schikanieren.

Die Kriegserklärung der Polen ließ nicht lange auf sich warten – mit dem Versprechen, Einzahlungen ins Brüssler Budget fortan zu verweigern und in sämtlichen Abstimmungen, wo Einstimmigkeit verlangt ist, Einspruch einzulegen, haben sie klare Kante gezeigt: das Prinzip der loyalen Zusammenarbeit ist auch ihrerseits tot. Oder scheintot, hoffentlich für die kürzestmögliche Zeit. Das ist die polnische Strategie, was natürlich die polnische Wirtschaftskraft erfordert, und auch die riesige positive Publizität, die den Polen der belarussische Präsident Aljaksandr Lukašenka beschert hat, indem er an ihrer Grenze im Herbst seine hausgemachte Flüchtlingskrise toben ließ.

Als der Verfassungsrechtler Péter Tölgyessy, einer der besten Kenner der ungarischen Politik, sich in einem langen Interview besorgt zeigte, da Ungarn – genauso wie vor allen großen Tragödien ihrer neueren Geschichte – auf Kollisionskurs mit den großen angelsächsischen Demokratien geraten ist, hat er die ungarische Strategie teils sehr gut beleuchtet. Diese ist bestimmt taktvoller und auch etwas klüger als die der Polen:

wir müssen einfach mal verhindern, dass Europas Großmächte in der Einschätzung Ungarns einig werden.

Und nun, als wir mit den Deutschen für eine kurze Zeit eindeutig nicht als Freunde rechnen können, die Italiener sich bis zu den nächsten Wahlen im außenpolitischen befinden und Großbritannien sich klar als geopolitischer Sekundant der USA äußert, ist die Verhinderung eines deutsch-französischen Anti-V4-Bündnisses von ausschlaggebender Wichtigkeit. Auch wenn die Franzosen eben die Franzosen sind, was die Möglichkeiten einer Freundschaft sehr einschränkt.

Das Wichtige ist aber eben nicht dies. Es muss nur genug Fragen geben, in denen die Meinung der Franzosen zu der unsrigen näher ist als zu der der Deutschen. Die Einheit Berlins, Londons, Washingtons und Paris’ im hungarofoben Kampf muss gespalten werden. Das ist die europäische Ausbreitung des alten Orbán-Doktrins: während wir in der Weltpolitik erreichen müssen, dass Berlin, Moskau, Peking und Ankara zur selben Zeit an unserem Erfolg interessiert seien, ist in dieser angespannten Europa-politischen lage unser einziges reales Ziel, zu erreichen, dass Berlin, London, Washington und Paris unter sich mehr Strittigkeiten haben als mit uns.

Atomkraft, Landwirtschaft, Verteidigung, was auch immer – es soll nur nicht jeder gleichzeitig gegen uns sein.

Und wenn Péter Tölgyessy seine historische Analogie zog, hat er auf die Deutschen vergessen, die die schlechte Seite der Geschichte immer mit untäuschlichem Gespür erkennen. So haben sie zwei Weltkriege verloren, darum tragen sie noch jahrzehntelang den Ballast der verlorenen deutschen Einheit mit sich. Sachsen ähnelt bis zum heutigen Tag eher einer westpolnischen Wojwodschaft als dem westlichen Teil ihres eigenen Bundes – es muss nur einmal irgendwo die AfD gewinnen, damit das ganz schmerzvoll klar wird.

Wir haben sie mehrere Male umsonst in den Nationstod gefolgt, und nicht mal bei einem Tyrannen vom Kaliber Hitler haben unsere Anführer bemerkt, dass sie sich mit Schurken unterhalten. Jetzt scheint es aber sehr wohl so zu sein, dass wir mit den Deutschen, die uns in zwei tragischen Kriegen gezwungen haben, viel früher und viel schärfer ins Konflikt geraten sind als mit den angelsächsischen Demokratien, von denen wir mit dem Größeren nur böse Blicke austauschen und dem Kleineren in manchen Fragen sogar zublinzeln. Nein, Ungarn gerät befindet sich gerade nicht auf Kollisionskurs mit den immer schwächeren, und noch dazu auch nicht auf Europa konzentrierenden Angelsachsen, sonderen im Prozess, etwas sehr Nützliches zu erlernen: die Kunst,

nicht blind der Ideologie der Deutschen zu vertrauen und dann zwangsweise auf ihrer Seite zu versagen, sondern einmal trocken, kühl und emotionslos ein Deal mit den Franzosen einzugehen.

Ein Deal, kein Bündnis. Wenn überhaupt, dann nur ein Interessensbündnis. Mehr kann man von dem vollkommen ideologiefreien Macron kaum erwarten. Aber ein Interessensbündnis ist ein Bündnis an sich – und besser als ein Krieg ist es auf jeden Fall.

Die Generalprobe der ungarisch-französischen Zusammenarbeit war die krachende Stürzung Manfred Webers, dem Macron und die V4-Staaten Schulter an Schulter die Kommissionspräsidentschaft verweigert haben. Jetzt kommt die Vorführung,

Der echte, große Deal zwischen Frankreich und den V4-Staaten über Atomkraft, Landwirtschaft und Verteidigungspolitik.

Die Ungarn stellen sich nun nicht gegen Frankreich und hinter Deutschland auf, sondern zwischen den beiden – und das wird uns auch sehr gut dienen.

Der Ziel ist ganz einfach: wir müssen mit stabilen, günstigen Energiepreisen auf Basis unseres Atomkrafts nach Westen und Osten Industrie aus Deutschland herauslocken; durch die Beibehaltung der EU-Landwirtschaftsförderungen Frankreich dabei helfen, seine dominante Rolle auf dem europäischen Lebensmittelmarkt zu behalten, und uns die dreißig Jahre verspätete Agrarrenaissance ermöglichen; und endlich eine selbstständige EU-Armee aufbauen, um Europa aus den Knechtschaft immer bizarrerer amerikanischer außenpolitischer Projekte zu befreien, den Franzosen wieder internationales Gewicht und Gloire, uns allen aber ein effektives Werkzeug für den Grenzschutz zu verschaffen.

So etwa könnte der Deal aussehen – und das liefert schon genug Stoff dafür, dass Frankreich und Deutschland sich eben untereinander zerstreiten und nicht mit uns.

Wir können in diesem Fall mit dem Franzosen und mit einer erstärkten Wirtschaft die seit Langem fällige Ernüchterung unserer deutscher und nordeuropäisher Freunde abwarten.

Machen wir uns nichts vor: Emmanuel Macron, der sich zuhause auf liberale Stadtintelligenz und Waisen der französischen linken und rechten Mitte stützt, wird uns keine erwähnenswerte Gefallen im Kulturkampf tun. Das verbietet uns aber noch lange nicht, mit ihm den Weg der uns anfahrenden Deutschen und Skandinaven zu untergraben – die hungarophoben EU-Kernstaaten können sich mit der Geburt einer neuen, in aller Wahrscheinlichkeit konservativen italienischen Regierung sehr wohl von einem Bündnis der V4 und der Südstaaten umzingelt finden.

Und damit niemandem irgendein Fehler unterläuft, lasst uns doch festhalten: bei der Budapester Orbán-Macron-Spitze war das Hauptgericht ganz eindeutig die ausgestreckte Hand des ungarischen Ministerpräsidenten. Das demütigende Treffen mit der Opposition, die in einer kitzekleinen Garderobe ohne ungarischer Flagge abgehalten wurde, war nur eine gebrochene Lanze für die westliche Presse und die französische Öffentlichkeit. In der abendlichen Pressekonferenz wurde jedem klargemacht, dass die Chance für ein ungarisch-französisches Deal durchaus da ist. Diese ist zwar nicht die wertebasierte neue Union der konservativen Kräfte Europas, keine Wertegemeinschaft, sondern

eine Interessengemeinschaft – aber doch ist es eine hervorragende Chance dafür, dass Ungarn in den bevorstehenden stürmischen Jahren nicht der ganze europäische Spielraum abhandengeht.

Und all das ist nur das petit déjeuner für den Fall, dass bei den französischen Präsidentschaftswahlen des nächsten Jahres Macron wiedergewählt wird. Der Festmahl kommt erst richtig, wenn Frankreich noch dazu einen konservativen Präsidenten wählt – ein durchaus wahrscheinliches Szenario. Mal raten, was für Spielräume das eröffnet!

MAGYARUL: https://mandiner.hu/cikk/20211214_macron_orban_franciaorszag_v4

Autor, Mátyás Kohán ist Redakteur Außenpolitik bei Mandiner.

Deutsche Übersetzung vom Verfasser, Mátyás Kohán

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